Mein Glueck
dem Sitz, alles ist da, weil es existiert.« Auch gibt es bei Picasso in einem Stilleben, das er aus Holzteilen gebastelt hat, nicht einfach eine Wurst, sondern eine spanische, grobkörnige Chorizo. Denn selbst dort, wo Picasso stilisiert, bringt er die bezeichnenden Details unter. Ich lese ab und zu im Schriftverkehr der Vorbereitung der Festschrift. Dazu gehören die Briefe Theodor W. Adornos, in denen es um seinen Beitrag »Über einige Relationen zwischen Malerei und Musik« ging. Vor allem ein Satz aus einem Brief vom 19. Dezember, in dem er mir unter »besten Wünschen zum neuen Jahr« die baldige Übersendung des Manuskripts ankündigte, hat mich nicht losgelassen: »Bedingung ist, wie bei all meinen Sachen, der absolut wörtliche, unveränderte und ungekürzte Abdruck. Das bezieht sich auf Orthographie, auf die Absätze und ähnliches«, in dem Manuskript, das er mir jetzt zukommen lasse, dürfe nichts, auch nicht ein Komma, geändert werden.
Ein solcher Stolz und ein solches Selbstbewusstsein imponierten mir ungemein. Aber ebenso beglückte mich Adornos Brief, in dem er mir über seine Arbeit am Aufsatz berichtete, er habe ihn »con amore« geschrieben. Für Kahnweiler waren diese Redaktionssitzungen immer wieder Anlass, sein Leben in allen Details vorbeidefilieren zu lassen. Mit Vorliebe hielt er sich bei der Erinnerung seiner wohl tiefsten Freundschaft auf, jener mit Juan Gris. Ich spürte eine einzigartige Zuneigung, die sich zudem jedes Mal, wenn die Witwe des Künstlers, Josette Gris, und ihr Sohn Kahnweiler in Paris oder in Saint-Hilaire besuchten, erneut miterleben ließ. Wenn der Kunsthändler vom frühen Tod des Freundes sprach, tauchte eine Rührung auf, an die man im Umgang mit ihm nicht gewöhnt war. Gewiss, diese Freude und Freundschaft hatten auch ideologische Gründe. Die Treue von Juan Gris vermochte immer wieder Kahnweilers Glauben an den Kubismus zu stärken. In Juan Gris, meinte er, habe das experimentelle Vorgehen Picassos und Braques, das zum Kubismus führen konnte, ein objektives, ruhig-ausgeglichenes Resultat gefunden. Er war in seinen Augen der definitive, reine Kubist und damit der Garant einer historischen Notwendigkeit. Und um nichts Höheres als um derartige transzendentale Gewissheiten ging es Kahnweiler. Doch noch eine andere Erinnerung mag bei der Treue und bei der Passion für Juan Gris eine Rolle gespielt haben. Juan Gris war der einzige Künstler, der ihm während des Ersten Weltkriegs und auch nach der Rückkehr aus dem Schweizer Exil in Bern bei seinen Freunden Rupf unverbrüchlich die Treue halten sollte.
Im Falle Picassos war dies anders. Er hatte sich sofort nach Kriegsausbruch von Kahnweiler abgewendet und ließ sich von Paul Rosenberg vertreten. Erst Jahre später kehrte er definitiv in die alte Galerie zurück. Die Tatsache, dass Picasso zur Truppe Kahnweilers gehörte, hatte für den Künstler und für den Kubismus sofort nach 1914 schwerwiegende Folgen. Alle Werke der Galerie waren zu Kriegsbeginn als Feindesbesitz konfisziert worden. Nach Ende des Krieges wurden Hunderte Bilder, Zeichnungen und Skulpturen auf mehreren Auktionen im »Hôtel Drouot« vom französischen Staat verschleudert. Es ging dabei keineswegs nur um die Auflösung des Besitzes eines feindlichen Ausländers und darum, an dessen Geld zu gelangen. Das erklärte Ziel war, den Kubismus als nichtfranzösische Kunst anzuprangern und zu liquidieren. Dahinter versteckte sich ein unerhörter politisch begründeter ikonoklastischer Akt. Da der Kubismus von einem Deutschen verteidigt und vertrieben worden war, galt er als »art boche«.
Und die Gleichsetzung Kubismus und feindliche Ästhetik vermag immerhin teilweise zu erklären, warum sich Picasso noch während des Kriegs vom Kubismus lossagt und für einen Klassizismus plädiert, der die Exzentrik der Avantgarde unübersehbar relativiert und sich die Rückkehr ins Museum offenhält. Ja, die Liquidation dessen, was Kahnweiler vertreten hatte, wurde letztlich erleichtert, weil Picasso selbst im Umgang mit dem Kubismus defätistisch reagiert hatte. Mit einem Schlag räumt der Künstler der Beschäftigung mit den Modellen der französisch-mittelmeerischen Tradition den Vorzug ein. Auf diese Weise nimmt er diese klassische Überlieferung gegen die Ausdruckslizenz des Nordens, gegen den Expressionismus und auch gegen die eigene Zerfleischung der Körper und Formen in Schutz.
Das Elternhaus in Rottenburg
Bereits 1920 stand fest, dass der Kubismus als
Weitere Kostenlose Bücher