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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Tänzerin« die »abscheulichen Versprechen des Lasters und böser Instinkte« versteckten. Das ging mir auch nicht anders, als ich erstmals in Moskau und Sankt Petersburg an den prunkvollen Fassaden vorbeikam, in denen früher das ganze Glück und Unglück gelebt zu haben schienen. Was war hier übriggeblieben? Überall spürte ich auf dem Newski-Prospekt Puschkin, Gontscharow, Tolstoi, Dostojewski, Turgenjew oder Tschechow und fand es unausstehlich, dass dies alles für immer vergangen und verloren sein sollte. Als ich das erste Mal in den achtziger Jahren zusammen mit Monique ins damalige Leningrad kam, hatte unsere Reisebegleiterin, die uns keine Sekunde aus den Augen ließ, im »Europäischen Hof« ein Zimmer reserviert. Im riesigen Raum stand ein schwarzer Konzertflügel, aber ohne Schemel. Auf unsere Frage, wie es dazu komme, dass hier ein solch wunderbares Instrument stehe, gab man eine Antwort, die aus einer anderen Zeit zu stammen schien: »Gäste, die sich solch eine Suite leisten können, spielen auch Klavier.« Erinnerungen an die Zeit stiegen auf, in der Olga mit »Casta Diva« Oblomow zu Tränen rührte. Ich ging in den Straßen auf und ab und fühlte mich als Ausgeschlossener.
    In dieses Gefühl brach die Erinnerung an die erste Suche nach einem Mädchen ein, in das ich mich verliebt hatte. Wie damals verwirrte mich eine topographische, in Metern berechenbare Spannung. Doch der Blick auf einen Türeingang, auf ein Fenster lieferte nichts anderes als die Vorahnung einer Enttäuschung. Etwas Ähnliches hatte ich in Barcelona erlebt. Ich lief, ehe ich das Glück hatte, Picasso in Mougins gegenüberzustehen, zu all den Häusern, in denen dieser einmal Wohnungen oder Ateliers besaß. Es war ein zuckender Schmerz, der entstand, der Schmerz darüber, dass all dies erst vor kurzem definitive Vergangenheit geworden war. Bei Picasso selbst spürte ich gleichfalls eine Tristesse über das nicht mehr zurückholbare Leben. Eine seiner Veduten von Barcelona, ein ins Blau der Melancholie getauchtes Meer aus Dächern, hing im Salon in Mougins über dem Kanapee, und Picasso fragte mich, ob dies alles so geblieben sei. Ich war damals von der Eröffnung des Picasso-Museums in der Calle Moncada im Barrio Gótico zurückgekehrt. Ich ahnte, dass es ihm nicht um die Auskunft ging. Etwas Tieftrauriges brach hier auf. Vielleicht war es besser, nicht weiterzugehen.
    In regelmäßigen Abständen zog ich in meinen frühen Pariser Jahren in den Westen der Stadt zu dem Haus 47, Boulevard de Beauséjour. In ihm hatte Henri Bergson gelebt, in ihm war er 1941 gestorben. Hier am Rande des Bois de Boulogne spürte ich dieselbe obsessionelle Sehnsucht wie zuvor in Rodaun bei Wien. An diesen Ort pilgerte ich als Student, setzte mich oben an den Waldrand über der Bergkirche und konnte stundenlang mit einem Schreibblock auf das blassgoldene Maria-Theresien-Schlössl hinabschauen, das unter mir in der Ketzergasse lag. Allein der musikalische Name Rodaun brachte mich zu einem sehnsüchtigen Träumen. Dort hatte Hugo von Hofmannsthal gelebt. Ich saß da oben und versuchte mich an Gedichten, die in die Genauigkeit und melancholische Leichtigkeit des Dichters eindringen wollten. Ich dachte nicht zuletzt an die Verletzungen, die dieser bei der Zusammenarbeit mit Richard Strauss zu ertragen hatte. Der Briefwechsel zwischen beiden erschütterte mich, die Wehrlosigkeit Hofmannsthals, das harsche Verhältnis von Herr und Knecht erschien mir unerträglich. Zu gerne hätte ich damals schon – über eine Generation hinweg – mit einem der witzigsten und klügsten Kenner des Werks, Ulrich Weinzierl, geredet. Und doch war ich überzeugt, dass es dem Eingriff von Strauss zu verdanken war, dass nur auf diese brutale Tour die großartigsten und heitersten Operntexte entstehen konnten. In Rodaun war es die fiebrige Suche nach jemandem, den ich noch überall präsent fühlte.
    Etwas Fließendes, etwas, was in die Jetztzeit überfloss, ging auch vom Haus Bergsons mit seinen schwarzen metallenen Brüstungen vor den Fenstern aus, hinter denen der Philosoph gegen die prädestinierten Evolutionsbiologien den Begriff der »schöpferischen Entwicklung« gestellt hatte. Mir hatte es die Schilderung des spasmischen Lachens angetan. Bergsons Text »Le rire«, der als Entree zum zwanzigsten Jahrhundert in der Revue de Paris erschienen war, konnte all das begründen, was der Betrachter beim Slapstick im Stummfilm erlebte und fühlte. Ich musste daran denken, als ich

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