Mein Glueck
sondern nur als »Schriftsteller« gelten ließ. Und das war eindeutig pejorativ gemeint. Ich litt unter dieser unverhohlen kritischen Distanz gegenüber einem Mann, der ins Exil und nicht in die innere Emigration gegangen war. Thomas Manns Ironie galt als Zeichen dafür, dass dieser, im Gegensatz zu Ernst Wiechert etwa, nicht eines tiefen und nicht von Sarkasmus angekränkelten Gefühls fähig gewesen sei. Und diese Annahme galt in noch höherem Maße einem der größten Dichter überhaupt, Heinrich Heine. In einem Seminar an der Universität Tübingen, in dem ich ein Referat über ein Heine-Gedicht hielt, war später die Rede von fehlendem Gefühl, von Zynismus, der alles entweihe. Rasch begann ich in Rottweil französische Bücher zu lesen. Der erste Roman, in dem ich mich gegen Ende der Schulzeit mit dem Wörterbuch vortastete, war Stendhals Le Rouge et le Noir ( Rot und Schwarz ). Nichts ließ sich mit dieser Überwältigung durch Stolz und Ambition vergleichen, die bis zur Selbstvernichtung führte. Von dem einen oder anderen französischen Autor versuchte ich Übersetzungen anzufertigen. Ich erinnere mich nicht mehr, auf welche Weise mir Saint-Exupérys Lettre à un otage ( Bekenntnis einer Freundschaft ) in die Hände fiel. Doch das darin verhandelte Motiv der Flucht, des Wartens machte mich neugierig. In dem kurzen Text wurde eine ähnliche Stimmung beschrieben, wie wir sie in »Casablanca« mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman miterleben: ein exzessives, hungrig-gieriges Dasein auf dem Vulkan. Vor dem Hintergrund von Saint-Exupérys Auswandererschicksal blitzen die Brillanten der Flüchtlinge und die Lichterketten Lissabons auf. Die Schilderung der hell erleuchteten Nacht, der wirren und verwirrten Gesellschaft von Emigranten, die verzweifelt Traum und Realität verwechseln, erschien mir wenige Jahre nach dem Krieg, der Zeit von Verdunkelung und Notlicht, die ich noch selbst erlebt hatte, beinahe unwirklich.
1954 – ich war in Rottweil in der Klasse VIII b – beschloss ich, für die drei Gymnasien der Stadt eine Schülerzeitung zu gründen. Es war dies ein Versuch, der Disziplinierung durch das Konvikt zu entkommen. Ich merkte bald, dass dieser Vorstoß von dem größeren Teil der Lehrerschaft keineswegs gerne gesehen wurde. Eine derartige Initiative galt als aufmüpfig und wurde vom einen oder anderen mit einer Herabstufung meiner Noten sanktioniert. Aber die Schüler erhielten damals nicht nur das formale Recht, solche Initiativen in die Tat umzusetzen. Sie wurden in einem ersten Anflug von Einsicht in die Bedeutung der Selbstverwaltung sogar dazu angespornt, Eigeninitiative zu entwickeln. Die erste Ausgabe der Publikation, die ich zusammen mit einigen Kameraden aus Klassen, die nicht zum Konvikt gehörten, herausbrachte, trug noch keinen Titel. Wir hatten oben auf der ersten Seite eine große Stelle unbedruckt gelassen und diese mit mächtigen ungelenken Fragezeichen verziert. Nun wurden alle Mitschüler von der Redaktion aufgefordert, Titelvorschläge zu machen. Es war ein Wettbewerb, bei dem als erster Preis ein Buch und zweimal eine Einladung in die Rottweiler Milchbar zu gewinnen waren. Die dreihundertfünfzig Vorschläge verrieten, dass die Ausschreibung eine gute Werbung für das Blatt gewesen war. Die zweite Nummer hieß dann »Der frische Wind«. Der Titel, den Adalbert Bartsch gefunden hatte, machte uns in den Augen mancher Lehrer noch verdächtiger. In der Folge mussten wir die Zeitung, ehe sie veröffentlicht werden durfte, jeweils der Schulleitung vorlegen. Doch diese Forderung vernachlässigten wir ziemlich rasch. Zunächst hatten wir keine Möglichkeit, das Produkt zu drucken. Wir schrieben und zeichneten die Seiten auf Wachsmatrizen und ließen diese mit einer kleinen, handbetriebenen Druckmaschine bei der Firma Otto Schreiber in Balingen vervielfältigen. Das Ergebnis sah wirklich armselig aus. Dieser Miserabilismus war noch zusätzlich Munition für unsere Feinde, meinten sie doch, wenn wir schon die Herstellung nicht richtig und anständig bewerkstelligen könnten, so sollten wir besser ganz die Hände von unserem Unternehmen lassen. Dies spornte uns jedoch nur weiter an. Wir gewannen in der Stadt einige Inhaber von Läden, die bereit waren, dem neuen Blatt zu helfen und es mit Annoncen zu unterstützen. Unter ihnen waren vor allem ehemalige Schüler des Gymnasiums, die auf diese Weise eine kleine Revanche an der autoritären Schulleitung nehmen wollten. Bereits in der zweiten
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