Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
Vom Netzwerk:
Nummer machten wir unter anderem für die Bezirksmilchverwertung Reklame: »Milch ist das preisgünstigste Nahrungsmittel.« Denn Milch war damals das KO-Getränk der Jugend. Die Unterstützung durch Geschäfte war maßgeblich, da die bekannten und geachteten Namen dem, was wir gewissermaßen entgegen der stillen Verachtung trieben, eine Art von Honorigkeit verliehen. Außerdem konnten wir durch sie überaus schnell unsere harmlosen, letztlich respektvollen Texte und Meldungen ab Januar 1956 in einer schön gedruckten Ausgabe anbieten. Der erste Jahrgang brachte es bereits auf neun Hefte. Auch das Layout, das Text und Illustrationen, Zeichnungen und Autotypien nach Fotografien mischte, konnte sich sehen lassen. Mein Ehrgeiz bestand darin, berühmte Schriftsteller für Beiträge zu gewinnen. Die Briefe an Stefan Andres und Werner Bergengruen, der damals vor der Übersiedlung nach Baden-Baden noch in Rom lebte, führten immerhin dazu, dass ich bereits existierende Manuskripte zum Abdruck zugesandt bekam. Dahinter steckte nicht nur das Jagdfieber und die Versuchung, mit solchen Namen protzen zu können, sondern eine tiefe Bewunderung für Bücher wie Wir sind Utopia und Der Großtyrann und das Gericht . Den Anfragen bei den Autoren legte ich ungeniert auch eigene Gedichte bei. Es war nichts wirklich Eigenes, sondern eher Nachempfundenes, das aus meinen Lektüren entstanden war. »Des Morgens Frührot legt die warmen Lippen auf die liebeleere Erde. Doch wehe mir.« Das waren Sätze, die für einen, der im Konvikt lebte, eigentlich undenkbar waren. Alles war verboten. Ich erinnere mich, wie ich damals im Beichtstuhl saß und mitteilte, ein Buch zu lesen, das von der Kirche auf den Index gesetzt worden war, Alexandre Dumas’ Der Graf von Monte Christo . Der einzige Grund, warum dieser Roman indiziert war, findet sich im letzten Teil, wo eine Hinrichtung durch die vatikanische Justiz geschildert wird. Zu den Dichtern, die ich anzuschreiben wagte, gehörte selbstverständlich Hermann Hesse, dessen Romane und Gedichte mich auf nie erlebte Weise beeindruckten. Nicht nur Narziß und Goldmund , sondern vor allem Unterm Rad las ich, als ginge es bei dem, was dort beschrieben wurde, um mein eigenes Leben. Und in der Tat waren Calw und Rottenburg nicht allzu weit voneinander entfernt. Die Ähnlichkeit zwischen Hans Giebenraths Leben im Internat von Maulbronn und meiner Existenz im bischöflichen Konvikt in Rottweil war alles andere als zufällig. Ich identifizierte mich rücksichtslos mit der unglücklichen Welt, die Hesse schildert. Unterm Rad war ein Buch über Knechtung, deren Unglück auch meines war. Zudem wollte ich mich auch Goldmund, dem Künstler, nahe fühlen, den ständig das Bild seiner Mutter begleitet. Ich sandte dem Dichter in die Schweiz, nach Montagnola, einen Brief. Davon erhoffte ich mir nicht nur eine kleine Aufmunterung, sondern auch bunte Briefmarken für meine Sammlung. Ich schrieb, ich würde gar nicht erwarten, dass er sich zu meiner Sendung irgendwie äußere. Er solle doch einfach mit »Ja« oder »Nein« antworten. Kurze Zeit später erhielt ich Post. Hesse hatte auf eine Postkarte eine Botschaft notiert, die mir unvergesslich geblieben ist: »Lieber Herr Spies, ich sage ja, freundlich grüßend Ihr H.H.« Nach und nach und im Wissen darum, dass der Dadaismus in der Schweiz, im neutralen Zürich, seinen Einzug gehalten hatte, erkannte ich in dem Satz beim lauten Vorlesen einen sich in unfreiwilliger Ironie überschlagenden Merkvers. Das einzige, was mich damals in meinem wirklich unsagbaren Glück störte, war, zu merken, dass die Karte nicht im Tessin, sondern in Stuttgart abgestempelt worden war. Sie trug eine banale grüne 10-Pfennig-Marke mit dem Kopf von Theodor Heuss. Später klagte ich dies einmal Siegfried Unseld. Die Erklärung, die er mir daraufhin gab, war simpel und von ökonomischem Charakter. Er sei doch damals in der Regel zweimal im Monat zu Hermann Hesse in die Südschweiz gefahren und habe dessen gesamte Post, die nach Deutschland gehen sollte, mitgenommen und in Stuttgart frankiert und eingeworfen. Das sei ihn und den Mitschwaben Hesse billiger gekommen. Hesse soll, so bezeugen viele, ein absoluter Sparfuchs gewesen sein.
    Das Einerlei aus Schule und Kirche konnte ich ab und zu mit einem Ausflug zu meinen Verwandten nach Schramberg durchbrechen. Eine andere Möglichkeit boten mir sonntags nach dem Essen Einladungen in die Pfarrhäuser der Umgebung. Es hatte sich herumgesprochen, dass

Weitere Kostenlose Bücher