Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
sagte Wanda hilflos. Dann fiel ihr etwas ein. »Franziska, bist du auf Facebook?«
Franziska verzog das Gesicht. »Noch was? Ich brauche keine 500 wildfremden Freunde. Glatte Zeitverschwendung.«
»Wozu soll dieses Facebook eigentlich gut sein?« Marianne hörte auf, den Fußboden zu bearbeiten. »Ich verstehe das nicht. Meine Freunde lade ich zum Kaffeetrinken ein und fertig. Fünfhundert Leute könnten da ohnehin nicht kommen.« Sie schüttelte den Kopf.
»Facebook ist halt dazu da, um … », setzte Franziska an, aber Marianne hörte gar nicht mehr zu. Ihre Augen hatten sich geweitet. »Wanda!«
»Was ist denn?«
Marianne antwortete nicht. Sie ruckte nur eigenartig mit ihrem Kopf nach links. Da, sieh doch nur, signalisierten ihre Augen.
Wanda drehte sich erstaunt um. Es war Axel, der Biker, der Marianne so in Panik versetzte, und das konnte Wanda ihr nicht verdenken. Er stand auf einmal mitten im Raum und sah noch grusliger aus als beim letzten Mal. Ganz in schwarzes Leder gekleidet, das obligatorische Tuch um den Kopf und einen Helm in der Hand. Halt, zwei Helme.
»Tag, die Damen«, grüßte er. Und fügte aus irgendwelchen Gründen hinzu: »Jetzt kann das alte Mädchen wieder ran.«
Marianne presste stumm ihre Lippen zusammen und zog vorsichtig den Schrubber näher zu sich, bereit, ihn jederzeit zur Verteidigung einzusetzen. Biggi setzte ihr blödestes Schmetterlingslächeln auf und flötete »Hallo, hallo«.
Hallo, hallo? Wanda schüttelte sich leicht. Biggi machte wirklich vor keinem Halt, sie flirtete mit jedem, der die Bedingungen männlich und atmend erfüllte. Aber wer von ihnen war bitte schön das alte Mädchen? Da alle Wanda erwartungsvoll ansahen, öffnete sie schließlich ihren Mund.
»Hallo. Das ist Axel, das sind meine Freundinnen Biggi, die kennen Sie von neulich, und Marianne, und das ist meine Tochter Franziska, die haben Sie ja auch schon … äh, getroffen.«
»Genau. Franzi.« Er hob den Helm hoch und sah Franziska an. »Wenn du willst, kannst du.«
»Nee, echt jetzt?«, kreischte Franziska mit einer Begeisterung, die Wanda seit Jahren schon nicht mehr bei ihr erlebt hatte. »Ehrlich?« Sie griff nach dem Helm.
»Wenn sie will, kann sie was?«, fragte Wanda. Ein leichter Schwindel setzte in ihrem Kopf ein.
»’ne Runde auf dem alten Mädchen drehen.«
»Dem alten … O mein Gott, Sie meinen doch nicht etwa Ihr Motorrad?«
»Harley, Lady. Eine Harley ist nicht einfach nur ein Motorrad. Und Franzi wollte das schon ihr ganzes Leben lang, nicht?«
»Franzi.« Wanda schluckte und starrte ihrer Tochter hinterher, die einfach so mit diesem Menschen mitging, den kleinen Gang entlang, um sich draußen auf diese Maschine zu setzen, um sich entführen zu lassen … Wohin? Wann kam sie zurück?
»Wann kommst du wieder?«, rief Wanda ihrer Tochter mit dünner Stimme hinterher, aber die war schon durch die Tür in den Hof hinausgeschlüpft, wo Axel gerade sein Motorrad durch das Tor raus auf die Straße schob.
»Na, wenn’s ihr Spaß macht«, bemerkte Biggi nicht ohne Neid. »Ich geh dann auch mal.«
Lautes Knattern und Jaulen erklang, dann wurde es leiser, nur um plötzlich wieder anzuwachsen. Das Motorrad kam die Straße entlang und hielt genau vor dem Herkules, Gott sei Dank. Wanda atmete auf. Das war ja wirklich nur eine kleine Runde gewesen.
»Tschüssi!«, brüllte Franziska von draußen, klammerte sich wie ein Äffchen an den riesigen schwarzen Ledermenschen vor ihr, und mit einem brutalen Röhren donnerte die Harley davon – auf in die Vorhöfe der Hölle, oder wo immer solche Motorräder hinfuhren.
»Und Dreck hat er auch wieder reingeschleppt.« Marianne klatschte den Wischlappen gereizt auf den Boden.
Wanda sagte gar nichts. Sie kniff die Augen zusammen, um einen letzten, hilflosen Blick auf ihre kostbare Tochter zu werfen. Aber alles, was sie sah, war der korpulente Mann vorn an der Ampel, im auberginefarbenen Blazer und mit einsetzender Stirnglatze, der den beiden fassungslos hinterherschaute. Norbi.
Offenbar war er mit der Ablage fertig.
Todmüde wankte Wanda gegen Abend nach Hause. Franziska lebte noch, wenn auch mit einem sichtlich vergnatzten Norbert an ihrer Seite, das Herkules funkelte und roch wie ein Labor, Biggi hatte ein paar Pflanzen gestiftet, Marianne würde vor dem Öffnen morgen noch einen Kuchen backen. Der Montag konnte also kommen und mit ihm hoffentlich eine Menge neuer Kunden. Denn auch die letzten Rechnungen hatten nichts Erfreuliches
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