Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
eigentlich dauernd schwarz, sie war doch keine Witwe? Wie schafften das manche Frauen nur, auch im Alter noch so penetrant gut auszusehen? Wie die da hinten, irgendeine Neue, die sich gerade angemeldet und sogar eine Jahreskarte gekauft hatte. Wanda musste unbedingt die Mitgliederliste aktualisieren, vielleicht war die magische Zahl zweihundert längst in greifbare Nähe gerückt … Sie warf einen letzten neidvollen Blick auf die Sechzigerin, die sich die Haare wie Brigitte Bardot in ihren besten Zeiten hochgesteckt hatte und ihre immer noch perfekte Figur durch das Studio spazieren führte. Sogar der ein oder andere junge Bodybuilder verrenkte sich den Kopf.
»Dagmar heißt die, jetzt weiß ich’s wieder«, rief Hajos Frau triumphierend.
Hajo nickte zustimmend.
Biggi und Marianne waren natürlich noch nicht da, wie immer. Biggi konnte sich garantiert wieder nicht entscheiden, was sie anziehen sollte, und Marianne brachte es wahrscheinlich nicht über sich, Günther alleine zu lassen. Dabei wünschte sich Günther vermutlich nichts sehnlicher als das. Außerdem hatte er ja noch neunundneunzig Zwerge als Gesellschaft in seinem trauten Heim. Wanda grinste vor sich hin und schlug entschlossen die Speisekarte auf. Kalbssteak mit Gorgonzola, Hähnchen mit Sesam, Schweinerippchen, Lauchsuppe – das war mehr nach ihrem Geschmack als die unappetitlichen Heuschrecken. Obwohl sie nichts dagegen gehabt hätte, mit Bertram am Tisch zu sitzen und über irgendetwas zu plaudern, das nichts mit Sport oder Kai zu tun hatte. Sie war alles andere als eine Frustesserin, aber heute war alles egal. Kalbsgulasch und hinterher Palatschinken mit Himbeeren, das hatte sie sich verdammt noch mal verdient. Ihr Handy summte. Sollten Biggi und Marianne ihr so kurzfristig absagen, dann würde sie sich alleine vollstopfen und höchstwahrscheinlich auch einen antrinken. Und ein bisschen flirten. Da vorn, da baute die Jazzband ihre Instrumente auf, und der Mann mit dem Saxophon war nicht nur in ihrem Alter, sondern hatte schon mehrmals zu ihr herübergeschaut. Geistesabwesend griff sie nach dem Telefon. »Ja?«
»Wanda? Ich bin es. Bertram.«
»Bertram!« Wanda stieß vor Überraschung beinahe ihr Weinglas um, das die Kellnerin gerade vor ihr abgestellt hatte. »Ich denke, du sitzt im Flugzeug?«
»Noch nicht. Der Flug verspätet sich um eine Stunde, und ich warte hier am Gate und dachte, ich rufe dich noch mal an.«
Tatsächlich. Im Hintergrund hörte Wanda eine Lautsprecherdurchsage, in der ein Mr Chiang dringend gebeten wurde, sich zum Flugsteig 2 A zu begeben.
»Oh. Verpasst du dann nicht deinen Anschlussflug?«
»Nein. Ich habe genug Zeit in London.«
London. Er flog über London, natürlich. In einem anderen Leben, in dem Stefan vielleicht so ein Langweiler wie Norbi war und sich nicht dauernd alle Knochen brach, hätte Wanda neben Bertram gesessen und sich überlegt, was sie sich in Heathrow bei Harrods kaufen könnte, bevor sie mit ihm in das Flugzeug nach Sydney stieg.
»Was machen die Muskelmänner?«
Da war er wieder, dieser leise Spott in Bertrams Stimme.
»Denen geht es gut. Es kommen neuerdings eine Menge Leute in unserem Alter in das Herkules . Vielleicht hast du ja Lust, mal vorbeizuschauen, wenn du zurückkommst?«
»Ich?« Seine Stimme klang geradezu beleidigend erstaunt, als hätte sie ihn gerade aufgefordert, bei einer Travestieshow mitzumachen.
»Klar, warum nicht?«
»Ich glaube nicht, dass das was für mich ist, Wanda. Aber wenn dein Sohn wieder gesund ist und du deine Zeit nicht mehr mit solchem Firlefanz verbringst, müssen wir unbedingt was zusammen unternehmen. Oh, jetzt geht es offenbar doch los, wir können einsteigen. Verstehe einer diese Flughafen-Logistik.«
»Viel Spaß«, sagte Wanda. »Und guten Flug.«
»Danke, bis bald!«
Firlefanz. Genau wie damals im Café verspürte Wanda einen Anflug von Trotz. Das Herkules war kein Firlefanz, und sie verplemperte dort auch nicht ihre Zeit. Sie half ihrem Sohn und brachte gleichzeitig Leute dazu, Sport zu machen, die das sonst nie getan hätten – was war daran Firlefanz?
»Ich sterbe gleich vor Hunger.« Biggi warf sich auf den freien Stuhl neben Wanda und hüllte sie dabei in einen Schwall Haarspray. »Lass mal sehen.« Sie griff nach der Speisekarte. »Hm, Rippchen.«
»Hallo.« Wanda musterte ihre Freundin unauffällig. Sie selbst hatte sich dazu durchgerungen, mal etwas Buntes zu tragen, ein dunkelrotes Kleid, in dem sie sich bereits ein
Weitere Kostenlose Bücher