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Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)

Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)

Titel: Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Herwig
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Fenstern und glotzten. Wanda folgte ihrer Tochter durch den Flur nach draußen, wo Axel auf seiner Harley saß und ab und zu mal den Motor laut aufröhren ließ. Aus einer Seitentasche holte er einen zweiten Helm. »Soll ich dich dann auch noch abholen, Wanda?«, rief er ihr zu.
    »Um Gottes willen. Ich bin doch nicht lebensmüde. Ich fahre mit Marianne.«
    »Wie du willst. Aber jede Frau sollte einmal in ihrem Leben auf einer Harley gesessen haben!«
    »Ich kann überhaupt nirgendwo sitzen, nachdem du mich in deinem Burn -Kurs fertiggemacht hast.« Sie hob die Hand. »Wir sehen uns später im Klub.«
    Und dann ging sie zurück ins Haus, um noch einen letzten Blick in den Spiegel zu werfen. Am Spiegel klemmte eine Karte für ein Theaterstück. Die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens, in einer Woche. Der Inhalt ihres letzten Wichtelgeschenks. Eine einzige Karte. Sie sollte allein kommen.
    Gerds Band baute bereits im Stretching-Raum ihre Instrumente auf, ein Groupie lungerte auch schon in ihrer Nähe herum. Wanda erkannte voller Unbehagen die perfekte Frau mit der Brigitte-Bardot-Frisur wieder, die täglich halbnackt trainierte und ganze Stunden mit einem Handtuchturban auf dem Kopf in der Sauna verbrachte.
    »Hallo, Gerd!« Wanda winkte ihm mit der einen Hand zu, mit der anderen balancierte sie einen großen Teller mit Brezeln und sauren Gurken.
    Gerd hob zum Gruß sein Saxophon hoch und spielte ein paar Töne. Er war weder so beeindruckend gebaut wie Kai, noch trat er so forsch auf wie Ecki. Er war nicht besonders groß, das stimmte, er hatte eine Stirnglatze, und wenn Wanda sich nicht täuschte, fehlte an seinem Hemd ein Knopf. Aber er konnte wunderbare Musik machen, und in seinem Gesicht leuchteten Augen, in denen die Lebensfreude und der Humor nur so funkelten.
    »Wanda!«
    Sie drehte sich um. Ritschie wuchtete vorn am Tresen ein kleines Fass Bier hoch. Das hatte sie spendiert und das hatte er sich mit seinen Kumpels auch verdient. Die Wände sahen klasse aus, der ganze Klub wirkte fast wie neu und vom Hof draußen wehte ab und zu der Geruch nach frisch gesägtem Holz herein.
    »Wanda!« Es klang kläglich. Es klang nach Biggi. Wanda entdeckte ihre Freundin weiter hinten im Raum, in einem absurd leichten Strandkleid und mit einem gequälten Gesichtsausdruck.
    »Es tut so verdammt weh«, sagte Biggi zur Begrüßung. »Und ich darf es nicht bedecken, dabei friere ich doch wie ein Schneider. Meinst du, wir können die Tür zum Hof zumachen?« Sie drehte immer wieder ihren Kopf zur Seite, um ihre eigene Schulter zu begutachten.
    Wanda verschlug es einen Moment lang die Sprache. »Biggi, du hast doch nicht etwa wirklich …«
    »Ja, hab ich. Es war schlimmer als Zahnarzt. Und jetzt ist es, glaube ich, entzündet. Und wie aus Solidarität tut mein Zahn auch wieder weh.« Sie verzog das Gesicht.
    Wanda wollte eigentlich nicht hinsehen, aber eine unsichtbare Macht zwang sie geradezu, den Blick auf Biggis füllige Schulter zu richten, auf der die Tätowierung eines kleinen Schmetterlings auf rot geschwollener Haut wie ein mittelalterliches Brandmal leuchtete.
    »Aber gut sieht es doch aus, oder?«, fragte Biggi hoffnungsvoll.
    »Gut sieht es aus«, wiederholte Wanda fassungslos.
    »Sei ehrlich.«
    Wandas Blick klammerte sich an der Wand fest, dort hing der neue Kursplan. Sie durfte Biggi jetzt nicht in die Augen sehen.
    »Burn Baby« mit Axel – zu heißen Hardrock-Rhythmen.
    Bierbauch – Beine – Po mit Natalie. Es ist nie zu spät! Kräftigen und Straffen der Muskulatur.
    Senior-Power mit Kai – Kraftvolle Ausdauer mit Kicktechniken und anschließendem Stretching!
    Biggi hatte ein Recht auf die Wahrheit. Nein, Biggi hatte ein Recht auf ein kleines bisschen Glück. Wanda holte Luft. »Es sieht großartig aus, Biggi.«
    In diesem Moment fing die Band an zu spielen, und tausend Leute schienen auf einmal durch die Tür zu strömen. Wanda hatte genug zu tun, ihre Gäste zu begrüßen. Marianne und Biggi halfen ihr dabei. Im Nu war das Studio voller Menschen, voller Hände, die nach Häppchen griffen und Gläser oder Flaschen hielten, und bald darauf auch voller bierseligen Gelächters. Auf dem Damenklo wurden ramponierte Münder neu angemalt, es wurde Klatsch ausgetauscht, und draußen im Hof wurden die Sitzobjekte trotz der Kälte in Beschlag genommen, Bekanntschaften wurden geschlossen, Brieftaschen aufgeklappt und Fotos herumgereicht, schrilles Frauengelächter erklang in immer kürzeren Abständen.
    Gerds

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