Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
kickte sie die Pumps von den Füßen, prüfte noch rasch ihre Mails, aber in ihrem Postfach fand sich nichts Interessantes, nur irgendein YouTube-Link, wahrscheinlich wieder so ein lustiger Videoclip, den sie kommentarlos an Stefan weiterschickte, ohne ihn sich anzusehen. Das war seit seinem Unfall so eine Art Gewohnheit geworden, so ein Mutter-Sohn-Ding. Und Stefan mochte, dass sie nicht hinter dem Mond lebte. Anschließend fiel Wanda sofort ins Bett.
Um 5.00 Uhr weckte sie schrilles Telefonklingeln. Das Zifferblatt des Weckers leuchtete im Dunkeln. Schlaftrunken tastete sie nach dem Telefon.
»Wanda?« Ein Schluchzen. Es war Marianne. »Wanda, ich konnte nicht mehr schlafen und dachte mir, ich hole schon mal die Bleche und Platten ab, und da bin ich ins Herkules – es ist alles versaut! Alles nass!«
»Alles nass?« Wovon redete sie da?
»Rohrbruch, was weiß ich. Kommt von oben. Die ganzen neuen Wände sind verdorben, lauter Pfützen auf dem Boden, lauter …«
Es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein. Am nächsten Tag kam die Jury zur Inspektion!
»Ich verstehe nicht, wie meinst du, von oben, wer hat denn …?« Wanda hielt inne. Natürlich. Es lag auf der Hand. Dieser verdammte verschlafene Medizinstudent mit seinem Vollbad. Er musste eingeschlafen sein.
25 Irisdiagnose
»Ich hoffe, du bist gut versichert.« Marianne stieß den Schrubber mit solcher Wucht in den Eimer, als wollte sie ein Schwein erstechen, und warf dem verzagten Bündel auf dem Hocker neben sich einen wütenden Blick zu.
»Ja, kein Problem. Ich habe es schon gemeldet. Es tut mir so leid«, sagte das Bündel immer und immer wieder. »Wenn meine Freundin da gewesen wäre, hätte die es gemerkt, aber die ist bei ihren Eltern, einen Kühlschrank abholen.«
Wanda hatte mittlerweile fast Mitleid mit dem jungen Mann. Er sah im Morgengrauen mit plattgelegenen Haaren und schlaftrunkenem Gesicht noch erschöpfter und jämmerlicher aus als zuvor.
»Wir kriegen das schon wieder hin. Wir kriegen das schon wieder hin«, wiederholte sie wie ein Mantra und zwang sich, ruhig zu bleiben, obwohl sie innerlich kochte. Es ging ja nicht nur darum, die Sauerei hier irgendwie zu beseitigen. Es ging darum, sie möglichst schnell zu beseitigen, damit die Jury einen tollen Fitnessklub vorfinden würde, in dem sich Alt und Jung vergnügt zu heißen Rhythmen die Muskeln stählten. Doch so, wie es jetzt aussah, würde der Klub verwaist sein und die Jury brachte sich am besten ein paar Gummistiefel mit. Im günstigsten Fall waren sie blind. Im schlimmsten Fall …
Ihr Handy summte erneut. Stefan. Der rief schon zum zweiten Mal an, aber sie hatte einfach keine Kraft, mit ihm zu sprechen und ihm vorzugaukeln, wie super alles im Herkules lief. Sie hatte ihn überraschen wollen, mit einem erfolgreichen Fitnessstudio. Nicht mit diesem gigantischen Wasserfleck an der Decke, den Farbschlieren überall, Minzgrün und Sonnengelb mischten sich zu einem dreckigen Türkis, den Pfützen auf dem Boden …
»Nun hilf doch mal mit«, herrschte Marianne das Medizinstudenten-Bündel an. Der schreckte aus seiner Lethargie auf und griff pflichtbewusst nach einem Lappen. »Und nachher machen wir oben bei dir weiter«, fügte Marianne etwas versöhnlicher hinzu.
»Ich mach erst mal Tee«, sagte Wanda. Einen Yogi Tee am besten. Der regte an, aber nicht auf.
»Wanda? Ist schon auf?« Otto Gilder steckte neugierig seinen Kopf zur Tür herein.
Den hatte sie ganz vergessen, der kam ja immer als Erster. Und heute sogar schon um 7.00 Uhr. Natürlich, das hatte er ja gestern noch versprochen, er wollte beim Aufräumen helfen. Das war ihr ganz entfallen, ebenso wie ein Schild an die Tür zu hängen: Heute wegen Havarie geschlossen.
»Ach du meine Güte.« Otto Gilder sah sich um. »Ein Wasserrohrbruch?«
»Badewanne überlaufen lassen.« Marianne zeigte anklagend auf den Schuldigen, der sich verzweifelt über den nassen Boden beugte und versuchte, seine Schmach mit einem Wischtuch aufzusaugen.
»Und morgen kommt die Jury. Und Stefan übrigens auch in ein paar Tagen.« Das war alles, was Wanda herausbrachte, denn beim Anblick der bekümmerten Miene des alten Mannes stiegen ihr die Tränen in die Augen. Das war einfach alles zu viel. Sie war todmüde, und sie kam sich vor wie ein Hamster, der in seinem Rad rannte und rannte und doch nie ankam.
»Na, nicht weinen, Mädchen«, sagte Otto Gilder väterlich. »Das schaffen wir schon mit ein paar mehr Leuten. Der Boden muss ja
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