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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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wie gewöhnlich, und starrte begeistert auf den Saft in seinem Cocktailglas. Elsa erschien oben auf der Treppe. Gut, daß das Publikum nicht hörte, wie sie über die Hühnerleiter schimpfte, die sie zur Treppe emporsteigen mußte. Ich starrte fragend auf Torsten. Wo in aller Welt war denn der Held – der übrigens im Privatleben Birger Hallwig hieß und ein riesig netter Junge war? Er sollte nun am Fuße der Treppe stehen mit dem Ausruf: „Sehe ich recht? Ist das wirklich Felice Wendell? Wann sind Sie gekommen, Felice?“
    Darauf sollte Elsa antworten, daß sie eben angekommen sei, und Birger sollte noch etwas anderes fragen und Elsa damit Gelegenheit zu einer langen und inhaltsreichen Antwort geben. Und während all dies vor sich ging, sollten wir, die Sprachlosen, uns diskret zurückziehen.
    Aber da stand kein Birger, und Elsa kam die Treppe mit einem fragenden Ausdruck herunter, und wir, die Sprachlosen, sahen uns erschrocken an.
    Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm. Vielleicht war es Elsas Schilderung, wie schauderhaft es ist, wenn auf der Bühne etwas schiefgeht. Vielleicht war es Mitleid mit ihr, was mich handeln ließ. Oder vielleicht – und das ist das Wahrscheinlichste – war es das scheußliche Gefühl, das man hat, wenn etwas schiefgeht, selbst dann, wenn es einen selbst gar nicht angeht. Man fühlt es wie ein persönliches peinliches Erlebnis, wenn ein Pianist danebenhaut oder ein Rezitator plötzlich nicht weiter weiß, ein Redner sich blamiert – oder wenn etwas auf der Bühne nicht klappt und eine unbeabsichtigte Kunstpause entsteht.
    Während Torsten in den Kulissen verschwand, um Birger Hallwig zu holen, während „Tante Kristofa im Kasten“, die alte treue und von allen geliebte Souffleuse, wie eine Verrückte klingelte, glitt ich über die Bühne hin zu Elsa und gab ihr Birgers Fragen. Es ging ja nur darum, ihr ein Stichwort zu geben, so daß sie weiter kommen konnte.
    Elsa hat Routine. Sie zog die Antwort in die Länge mit einem kleinen Gelächter, glitt graziös über die Bühne, stahl der furchtbaren Wartezeit eine Sekunde nach der anderen. Ich gab ihr die nächste Frage, und so begann sie mit der langen Antwort, und während sie die sprach, hörten wir Laufschritte. Jetzt war Birger in der Leinwandtür, und als Elsa die letzten Worte sagte, kam er herein.
    Jetzt galt es für mich, so natürlich wie möglich zu verschwinden, während Birger ein paar Sätze improvisierte. Dann ging das Spiel wieder seinen normalen Gang, und die Lage war gerettet. Aber ich stand in der Kulisse und war kalt im Gesicht unter der Schminke. Das Herzklopfen kam nicht nur von der Tatsache, daß Torsten seine Arme um mich geschlungen hatte und sagte, das wäre verdammt tüchtig von mir gewesen.
    In der kleinen Pause zwischen dem ersten und zweiten Bild kam Elsa geflogen und preßte mich zum Dank halb tot.
    „Du bist ein Prachtmädel, Vivi. Ich glaube, das Publikum hat tatsächlich nicht die Spur gemerkt.“
    Birger sagte auch, ich wäre ein Pfundskerl, und alles in allem war die Dankbarkeit so groß, daß ich mich fast genierte. Aber Recht muß Recht bleiben, es war tatsächlich eine ekelhafte Lage, aus der ich Elsa herausgeholfen hatte. Es gibt ja nichts Schlimmeres, als auf der Bühne etwas tun zu müssen, was nicht auswendig gelernt und geprobt ist.
    So wurde also die Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Ein paar Tage darauf kam der Autor von „Zwei in einem Kutter“ in die Stadt. Nachdem er, die Vorstellung gesehen hatte, wurde ich zum Theaterdirektor gerufen.
    Der Autor hatte gefunden, daß man ein paar Sätze in die Badeszene einfügen sollte. Mein Auftauchen sollte ja Eifersucht in der Heldin wecken, und deshalb sollte ich etwas deutlicher in Erscheinung treten. Bisher verschwand meine verführerische Schönheit zu rasch vom Schauplatz. Nach meiner Rettungsaktion von neulich glaubte der Theaterdirektor, daß man mir schon drei, vier Sätze anvertrauen könnte.
    Diese Sätze wurden fabriziert und am nächsten Vormittag geprobt. Ich sollte mitten auf der Bühne von Birger angehalten werden, er sollte fragen, ich sollte antworten, außerdem verführerische Blicke werfen und unergründliches Lächeln aufsetzen, dann meine Flucht fortsetzen und übers Geländer springen.
    Ich war stolz wie ein Pfau, weil man mir etwas so enorm Wichtiges anvertraute. Und schon an demselben Abend stand ich im Licht der Scheinwerfer, ganz vorn auf der Bühne, hob meine für diese Gelegenheit extra schwarzgeschminkten Wimpern zu

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