Mein grosser Bruder
Kuchen schmeckten, und gekochtem Fisch von einer Qualität, wie ihn keine norwegische Hausfrau ihrer Katze vorsetzte. Also: ich zeichnete mich auf gar keine Weise aus. Bisher wußte Torsten nur, daß ich gut aussah und - wenn ich ihm glauben durfte –, daß ich auch charmant sein konnte. Deshalb tat ich das einzige, das ich wirklich verstand: ein Heim gemütlich zu machen. Ich mußte ihm doch zeigen, daß noch etwas anderes an mir dran war. Ich räumte den Flickkorb weg und nahm statt dessen mein Strickzeug hervor, einen Pullover, den Johannes zu Weihnachten bekommen sollte. Hatte Torsten nicht angezweifelt, daß ich stricken konnte?
Er kam pünktlich. Und blieb in der Diele stehen, um mich anzuschauen.
„Mein Gott, wie süß du bist, Vivi“, platzte er heraus. Da mußte ich lachen.
„Nein, jetzt hör auf, Torsten. Du, der du gewöhnt bist, mich im Abendkleid und Mini-Bikini zu sehen, du willst behaupten, du fändest mich süß in einer Küchenschürze.“
„Du redest ja Blödsinn“, sagte Torsten und drückte mich schnell an sich. War wohl das nette und anständige Schürzchen daran schuld, daß er mich nicht küßte? Dann öffnete ich die Tür zum Wohnzimmer.
Torsten blieb stehen und sah sich um.
„Weißt du Vivi, so habe ich mir dein Heim am allerwenigsten vorgestellt.“
„Ja, aber, Torsten, was ist denn daran Besonderes?“
„Nein, eben nichts Besonderes. Hier ist es wirklich gemütlich, Vivi. Aber so ein bißchen, ein bißchen, ja was soll ich sagen… ein bißchen…“, er saß fest.
„Bürgerlich“, lachte ich. Die Sachen, die wir besaßen, waren vor ungefähr dreißig Jahren angeschafft, einzelne Sachen von den Großeltern geerbt. Vor allem waren die Möbel nach Johannes’ Vorstellungen angeordnet.
„Ja, eben. Gerade das ist es, was mir gefällt, Vivi. Hier könnte ich mich wohl fühlen.“
„Nett von dir, Torsten. Setz dich und fange an, dich wohl zu fühlen, während ich einen Augenblick in die Küche gehe.“
Ich war nervös gewesen, ehe Torsten kam; jetzt war ich ruhig und froh.
Es war so gemütlich, als ich dann ihm gegenüber bei Tisch saß und seine Komplimente über das gute Essen hörte. Es war auch eine reine Freude, seinen Appetit zu sehen.
„Etwas so Gutes habe ich seit Jahren nicht gegessen“, lobte er aufrichtig. „Denk mal an, was du für verborgene Talente hast, Vivi! Wer würde ahnen, daß das kleine Bikinimädchen mit dem Ball…“
„Hör auf damit, Torsten! Das gehört zur Arbeit, genauso wie dein zerschlissener Smoking und dein schmutziges Hemd dein Arbeitsanzug sind.“
Torsten lachte. Das mit dem schmutzigen Hemd bezog sich auf eine Belehrung, die er mir gegeben hatte. Während wir hinter der Glaswand tanzten, hatte ich ihm gesagt, daß sein Hemd geradezu skandalös schmutzig wäre.
„Macht nichts“, hatte er mich belehrt. „Weiß kann noch so schmierig sein, die Zuschauer können es in dem starken Scheinwerferlicht nicht sehen. Tritt mal auf in einem florleichten und schneeweißen Elfengewand, es wirkt noch nach der dreißigsten Vorstellung schneeweiß, selbst wenn es vor Schmutz starrt.
Aber einen Fleck auf dunklem Stoff sieht man augenblicklich. Merke dir das, Vivi, das ist wichtig für Kinder der Bühne.“
„Oder für eine Statistenkreatur“, hatte ich geantwortet.
„Du erzählst nie etwas von dir selbst, Torsten. Ich weiß bloß, daß du versuchst zu studieren und daß du Statist bist, um dein Leben zu fristen. Aber sonst?“
„Ja, was sonst? Das ist rasch erzählt und höchst uninteressant. Mutter ist tot. Vater ist alt, er war schon fünfzig, als ich geboren wurde. Ist in Pension gegangen, war nie vermögend. Hatte bescheidene Staatsbeamtenstellung. Wir haben eine Putzfrau, die den schlimmsten Dreck aus der Wohnung entfernt und das nötigste Essen zubereitet. Die Frau ist billig, ihre Kochkunst entsprechend. Ich habe in den Ferien gearbeitet und so viel verdient, daß ich zwei Semester in Oslo sein konnte. Jetzt war ich blank und habe ein Jahr auf eigene Faust weitergelernt. Aber ich muß sehen, daß ich wieder eine ordentliche Arbeit bekomme, damit ich nach Oslo gehen und endlich mein Studium beenden kann.“
„Ich weiß nicht einmal, was du studierst, Torsten.“
„Juristerei. Sehr intelligent von mir, findest du nicht? Und geradezu tollkühn, wenn man das Überangebot von Juristen hierzulande bedenkt.“
„Warum hast du dann ausgerechnet Jura gewählt?“
„Nun, weil es mich interessiert. Weil ich mir gar nicht
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