Mein Herz gehört nur dir (Nobility) (German Edition)
*
Michael Baron Paulsen steckte den Brief, den er gerade geschrieben hatte, in einen Umschlag und klebte ihn zu, bevor er ihn in den Postkorb auf seinem Schreibtisch warf. Sein Blick wanderte zu Claudias Bild in seinem silbernen Rahmen. Wie immer, wenn er dieses Foto betrachtete, ergriff ihn eine unerträgliche Sehnsucht, und der Haß auf den Mann, der Claudias Tod zu verantworten hatte, drohte ihn zu ersticken. Er preßte die Fäuste gegen die Brust. "Eines Tages, Claus Lang, eines Tages..." murmelte er.
Gewaltsam riß er sich zusammen. Er stand auf und trat ans Fenster. Sein Blick fiel auf Evelyns Spielplatz. Womit hatte Har tmut nur eine Tochter wie Evelyn verdient? Michael konnte sich nicht erinnern, daß sein Bruder die Kleine auch nur ein einziges Mal liebevoll in die Arme genommen hätte. Gut, Hartmut hatte sich einen Sohn und Erben gewünscht, aber inzwischen hätte er längst über seine Enttäuschung hinweg sein müssen.
Er fuhr herum, als er ein Geräusch hinter sich hörte. "Ach, du bist es", meinte er dann gleichgültig.
"Michael, ich muß mit dir sprechen." Baron Hartmut war wie gewöhnlich ohne anzuklopfen in das Arbeitszimmer seines Bruders gekommen.
"Bitte, ich stehe dir jederzeit zur Verfügung." Michael wies auf einen der bequemen Ledersessel, die vor dem Kamin standen. "Kann ich dir etwas anbieten?"
"Danke, bemüh dich nicht." Der Schloßherr nahm vor dem Kamin Platz. "Nur eine einfache Frage: Warum hast du diese junge Frau hierher gebracht?"
"Frau Hofmann brauchte dringend Hilfe", erwiderte Michael. Er erzählte, wie er Laura getroffen hatte. "Ich hätte sie unmöglich bei dem drohenden Unwetter ihrem Schicksal überlassen können."
"An unsere Familie hast du wohl wieder einmal überhaupt nicht gedacht." Hartmut Baron Paulsen schlug wütend mit der flachen Hand auf die Sessellehne. "Was ist, wenn diese Frau..."
"Sich am Familiensilber vergreift?" fragte sein jüngerer Bruder spöttisch.
"Du weißt genau, worum es mir geht", fuhr Baron Hartmut wütend auf. "Mir gefällt es nicht, daß du dich mit Hinz und Kunz gemein machst. Wie ich dich kenne, würdest du dich sogar am liebsten mit unseren Gutarbeitern verkumpeln."
"Hartmut, mach dich nicht lächerlich", fiel ihm Michael scharf ins Wort. "Glaubst du denn, nur weil wir Paulsens sind, stehen wir weit über allen anderen? Dein Standesdünkel wird mit jedem Jahr unerträglicher."
Der Schloßherr sprang auf. "Was du für Standesdünkel hältst, mein lieber Bruder, ist nicht mehr als der Wunsch, unserer Familie den ihr zukommenden Platz zu erhalten. Heute ist es noch eine Ehre, auf Paulshof zu Gast zu sein, aber wenn jetzt auch Leute von der Straße dieses Privileg genießen, dann..."
"Ich habe keine Lust, mir diesen Unsinn noch länger anzuh ören, Hartmut", fiel der junge Baron ihm erneut ins Wort. "Du hörst dich an, als wärst du um ein paar Jahrhunderte zu spät geboren worden. Du solltest endlich akzeptieren, daß wir im zwanzigsten Jahrhundert leben."
"Werde bitte nicht unverschämt!" stieß Baron Hartmut hervor. "Du scheinst zu vergessen, mit wem du sprichst."
"Wie könnte ich?" Michael erhob sich ebenfalls. Er wandte sich der Tür zu. "Ich habe vor dem Essen noch etwas zu erledigen."
Hartmut Baron Paulsen ballte die Hände. Es hatte eine Zeit g egeben, da waren er und Michael gut miteinander ausgekommen, aber das lag schon lange zurück. Seit Ende ihrer Schulzeit entfernten sie sich täglich ein Stückchen mehr von einander. "Ich bin froh und dankbar, Michael, daß du es übernommen hast, das Gut zu verwalten, aber das gibt dir noch lange kein recht, in meiner Abwesenheit auf Paulshof den Hausherrn zu spielen und wahllos Leute einzuladen", sagte er.
Michael hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt, Paulshof zu verlassen und woanders sein Glück zu versuchen, aber hier war er zu Hause. Zudem mochte er seinen Bruder, obwohl sie nur se lten einer Meinung waren. Stumm sah er ihn an, dann drehte er sich um und verließ das Zimmer.
Baron Hartmut blickte ihm empört nach. Das Verhalten seines Bruders zeigte ihm ganz deutlich, daß ihn dieser nicht für voll nahm. Wütend wandte er sich um und wollte mit einer einzigen Bewegung die Kaminuhr vom Sims stoßen. Gerade noch im let zten Moment zuckte er zurück. Erbittert preßte er die Lippen zusammen. War es wirklich zuviel verlangt, wenn er von seinem jüngeren Bruder etwas Respekt erwartete?
* * *
Zum Mittagessen war auf der Terrasse gedeckt worden. Baron Michael hatte es
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