Mein Herz in Deinen Händen
nicht besonders gut zu gehen.«
Sie zerknüllte die Serviette in der Hand. Ihre Firma war blendend gelaufen, und dass sie sich jetzt auf die Zunge beißen musste, anstatt Mr Graham eine freche Antwort zu geben, kostete sie alle Kraft. »Vielleicht wollte ich hier Urlaub machen.«
»Komischer Urlaub, bei dem man vorher nicht mal anruft«, sagte Mr Graham.
Dan schob ihnen einen Teller mit Cookies hin.
Pepper nahm eines und sah ihn von der Seite an. Er erschien ihr wie ein Zoodirektor, der zwei streitenden Löwen Fleisch zwischen den Gitterstäben durchschob.
Es funktionierte auch, jedenfalls so lange, wie Mr Graham zum Kauen und Schlucken brauchte. Dann wandte er sich an seinen Sohn. »Ich habe für übernächsten Samstag ein paar Leute zum Abendessen eingeladen. Du kommst. Ich brauche dich, damit es zahlenmäßig passt.«
Zu seinem Unglück schien Dan nicht sonderlich begeistert zu sein. »Ich mag Partys nicht.«
Pepper schob Dan den Teller mit den Cookies hin. »Du nimmst dir lieber eins.«
Dan griff sich eins und biss hinein.
Pepper sah ihn an, und das Gespräch verblasste zu einem störenden Hintergrundsummen. Sie sprachen zwar noch, doch sie verstand die Worte nicht mehr, und der Schock, Dan in Fleisch und Blut vor sich zu haben, drang endlich zu ihr durch. Sie hatte jahrelang davon geträumt. Hatte sich gefragt, was er wohl machte. Hatte versucht, ihr Handeln vor sich selbst zu rechtfertigen. Jetzt saß Dan ihr gegenüber, warm und lebendig. Er hatte sie geküsst, hatte sie in den Armen gehalten, sie erregt. Er hatte sie unerbittlich befragt. Er hatte ihr von Mrs Dreiss berichtet. Aber solange sie sich noch nicht ausgeschlafen, gegessen und sich von ihrer Flucht erholt hatte, hatte ihre entsetzliche Lage den Geschehnissen alles Reale geraubt.
Doch Dan war wirklich da und nahm mit seinem blonden Haar und seinen braunen Augen ihre Sinne gefangen. Er setzte ihr zu. Er machte ihr ihren Körper bewusst, wie seit dem Tag, als sie Diamond verlassen hatte, nicht mehr. Sie wollte ihn so sehr wie eh und je. Sie wollte ihm ihr Vertrauen schenken und wagte es nicht, weil ihn das töten konnte.
Mein Gott. Wie konnte ein so simpler Überlebensplan so kompliziert werden?
Dan sah Pepper an. Sie starrte ihn konzentriert an, sog seine Essenz auf, und er zog fragend die Augenbrauen hoch.
Pepper landete mit einem Schlag in der Gegenwart. Sie schüttelte den Kopf und riss den Blick von ihm los. Sie musste sich in den Griff bekommen.
Mr Graham schob missmutig seinen Stuhl zurück. »Ich muss wieder an die Arbeit.« Er musterte seinen Sohn eindringlich. »Sicher, dass du nicht nach Hause kommen willst?«
Dan nahm seinen Vater am Arm und ging mit ihm zur Vordertür. »Dad, lass es mich ganz klar sagen. Wenn du mich wählen lässt, ob ich mit einem verknöcherten alten Mann wie dir zusammenleben will oder mit einer hübschen jungen Frau wie Pepper, ziehst du immer den Kürzeren.«
»Das ist mein Junge.« Mr Graham klopfte Dan auf den Rücken, nahm seinen Hut vom Haken und setzte ihn vorsichtig auf den kahl werdenden Kopf. Als Pepper dazukam, grinste er sie an. »Hatte immer schon ein Auge auf die Damen und die hatten auch immer eins auf ihn. Stimmt’s, Pepper?«
Eins musste man Mr Graham lassen, er war vielleicht nicht gerade feinfühlig, aber er brachte seinen Standpunkt rüber. Jede Menge Mädchen hatten Dans Weg gekreuzt. Sie war nur eine von vielen, die ihm verfallen waren. Aber im Augenblick wollte sie ihn nicht, und es konnte nicht schaden, Mr Graham über ihre Absichten ins Bild zu setzen. »Ja, Sir. Keine von uns hat ihm je widerstehen können. Trotzdem werd ich es versuchen.«
»Gutes Mädchen.« Mr Graham ging zur Tür hinaus.
Dan warf ihr einen prüfenden Blick zu und stellte fest, dass es ihr an Entschlossenheit mangelte. Er nahm seinen Hut, zog ihn sich tief in die Augen und griff nach einem zweiten Hut.
Zögernd nahm Pepper ihm den Hut aus der Hand.
Hatte er all die Jahre dort gehangen? Oder hatte er ihn heute Morgen gefunden, während sie geschlafen hatte?
Der büffellederfarbene Hut ließ die strahlende Erinnerung an eine altmodische Weihnachtsfeier zurückkehren, wie sie sich die kleine Pepper Prescott nie hätte vorstellen können.
Pepper konnte sich nicht entsinnen, je Teil einer Gruppe gewesen zu sein. Jedenfalls nicht so, mit dreißig High-School-Mitschülern, die sich allesamt in Mrs Dreiss’ Küche drängten und Toffeemasse kneteten, bis sie ihr unbeflecktes Weiß verlor und einen
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