Mein Herz ruft deinen Namen
sehr aufgeweckten Eindruck machte. »Rate, was ich mitgebracht habe?«, sagte ich, als ich die Haustüre öffnete. Einen Augenblick hielt er reglos inne, dann rief er strahlend: »Einen Hund!« Sofort sprang die kleine Hündin auf seinen Schoß, als kenne sie ihn schon immer, und begann ihm wie wild das Gesicht zu lecken, und anstatt sich vor dem Angriff der Bakterien – dem ewigen Schreckbild meiner Mutter – zu schützen, fuhr er ihr mehrmals mit der Hand über Kopf und Hals: »Schön … wie schön du bist … du hast ja ein seidenweiches Fell, und diese Ohren, diese Ohren … wie Rosenknospen … Was für eine Farbe hast du denn? Lass mich mal raten … meiner Ansicht nach bist du weiß.«
Obwohl sie nicht ausgebildet war, begriff Laika – so nannte er sie in Erinnerung an den Verzicht, den er damals hatte leisten müssen – das Problem meines Vaters innerhalb eines einzigen Tages und begann, sich entsprechend zu verhalten – nie vor ihm oder zwischen den Füßen, sondern immer an seiner Seite. »Danke für Laika«, sagte er, als er mich zum Abschied fest umarmte. Dann fügte er nach einer Pause hinzu: »Und du? Hast du jemanden an deiner Seite?«
Ich antwortete ausweichend. »Ich habe keine Zeit. Die Arbeit nimmt mich zu sehr in Anspruch.«
»Denk dran«, sagte er, als ich schon die Treppe hinunterging. »Das Leben geht weiter. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.«
War ich allein? Ja und nein. Nach der Episode mit dem Medium hatte ich eine Entrümpelungsfirma gerufen und dem Mann mit den Worten »Räumen Sie alles aus, und machen Sie damit, was Sie wollen« den Schlüssel zu unserer Wohnung gegeben. Drei Monate später zog ich aus dem Appartement aus und mietete eine Wohnung unweit des Krankenhauses. Da sie leer war, bot eine alte Freundin an, mir beim Einrichten zu helfen. »Für manche Dinge braucht man eine Frau«, bemerkte sie, und so gingen wir an meinen freien Tagen zusammen auf die Suche nach Möbeln und Lampen, Bettwäsche und Töpfen.
Nach einem Monat war die Wohnung fertig. Um der Freundin zu danken, lud ich sie auf meine winzige Terrasse zum Abendessen ein. Es war Juni, und neben dem Tisch verströmte ein Jasminstrauch seinen Duft. Wir stießen miteinander an, während der zermürbende Sonnenuntergang des beginnenden Sommers die römischen Dächer rosa färbte. »Auf uns beide!«, sagte sie, und ich wiederholte es mechanisch. Gleich darauf küssten wir uns. Am nächsten Morgen, als ich neben ihr erwachte, empfand ich Bestürzung. Ich liebte diese Frau nicht, sie war nur eine gute alte Freundin und würde nie etwas anderes werden. Warum hatte ich bloß die Barriere zur tiefsten Intimität durchbrochen?
Beim Frühstück wünschte ich mir einen Zauberstab, um sie augenblicklich verschwinden zu lassen. Schweigend tranken wir unseren Kaffee. »Hast du Kopfschmerzen?«, fragte sie mich. Ich ergriff diesen Strohhalm und nickte. Sie reckte sich: »Ich auch ein bisschen, ehrlich gesagt. Das muss der Wein gewesen sein …« Sie duschte ausgiebig, und das erhöhte meine Gereiztheit noch. Als ich das Bad betrat, wurden die Hosenbeine meines Schlafanzugs nass in den Pfützen, die sie auf dem Boden hinterlassen hatte. Doch als sie sagte: »Zum Mittagessen werde ich dir etwas Gutes kochen«, antwortete ich mit bedauernder Miene: »Tut mir leid, ich bin soeben angepiept worden, ein Notfall im Krankenhaus.«
»Soll ich auf dich warten?«
»Besser nicht. Notfälle können auch vierundzwanzig Stunden dauern.« Am nächsten Tag kaufte ich einen Anrufbeantworter und begann, mich hinter dieser angenehm unpersönlichen Stimme zu verstecken.
Wenn tagelang der Wind weht, sammelt sich in den Ecken und Leerräumen der Abfall – Getränkedosen, Tüten und Plastikflaschen zittern bei jedem Hauch, klappern, bilden Haufen und bleiben dort liegen, nachdem die Böen sich gelegt haben. Das Gleiche geschah mit dem leeren Raum, den du in mir hinterlassen hattest. Anfangs klang die Erinnerung an dich darin nach, das warst nicht mehr du, nur noch dein Echo. Im Augenblick, in dem auch dein Echo verklungen war, hat die Natur mit ihren Gesetzen die Oberhand gewonnen. Die Natur jedoch verabscheut die Leere – sobald sie eine Leere entdeckt, bietet sie all ihre Energien auf, um sie zu füllen –, mit Altpapier, Dosen, Plastik oder auch Samen, die hartnäckig in den Asphaltritzen keimen. Eigentlich hätte ich in diesem leeren Raum wachsen sollen, doch um zu wachsen, hätte ich erst einmal da sein
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