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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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spanische Beamte mit der tanzfreudigen, unechten Frau getan hatte), weil er an jenem Abend auf der Durchreise nicht allein in seinem Hotelzimmer vor sich hin kümmern wollte (die ortsansässigen Intriganten kehren nach ihren Tagesintrigen zum Ausruhen nach Hause zurück und überlassen den ausländischen Intriganten bei Einbruch der Dämmerung seinem Schicksal). Obwohl mir die Vorstellung, einen meiner Abende mit Luisa zu vergeuden, nicht gefiel, hatten wir doch aus eben diesem Grund auch keine andere Verpflichtung als die stillschweigende zwischen uns, und es ist leicht, solche in der Ehe nicht einzuhalten, ohne dass die Nichteinhaltung schwerwiegende Folgen hat.
    Villalobos wollte uns nicht nur einladen, sondern auch beeindrucken, vielleicht mehr Luisa oder sie auf andere Weise. Er war unverschämt, wie es anscheinend seiner Gewohnheit entspricht, denn er kritisierte den Beruf, den ich ausgewählt hatte oder bei dem ich gelandet war. »Wo führt dich das hin?«, fragte er mich, während seine fleischigen und feuchten Lippen (feucht an sich, aber er trank auch viel Wein) einen überlegenen Zug annahmen, als wäre er ein Vater (die Freunde der Väter glauben, von diesen den Umgang mit ihren Söhnen zu erben). Luisa hingegen warf er nicht vor, auf dem falschen Weg zu sein, vielleicht weil sie kaum noch als Übersetzerin arbeitete oder weil er im Grunde der Ansicht war, dass sie überhaupt keinem Weg zu folgen brauchte. Er war sympathisch, ungnädig, formal gelehrt, kokett, schulmeisterlich und unterhaltsam, er liebte es, sich niemals überrascht zu zeigen, unübertragbare Geheimnisse zu besitzen und über alles auf dem Laufenden zu sein, was in der Welt geschehen war, gestern oder vor vier Jahrhunderten. Plötzlich, beim Nachtisch, fiel er ein paar Minuten lang in tiefes Schweigen, als hätte ihn Erschöpfung übermannt vor lauter Ungestüm und Erhabenheit, oder als wäre er in düstere Gedanken versunken, vielleicht war er unglücklich und hatte sich plötzlich daran erinnert. Jedenfalls musste dieser Mann Talent haben, um so rasch von der Selbstgefälligkeit zur Niedergeschlagenheit zu wechseln, ohne dabei heuchlerisch oder unaufrichtig zu wirken. Es war, als würde er sagen: ›Was bedeutet das alles schon.‹ Die Unterhaltung versickerte (er hatte den Hauptpart übernommen, aus eigener Initiative), während sein Blick abwesend wurde, in der Hand der erhobene Löffel, mit dem er ein Stück Erdbeertorte aß.
    »Ist etwas?«, fragte Luisa und legte ihm zwei Finger auf den Arm.
    Professor Villalobos ließ den Löffel sinken und nahm mit ihm ein Stück von seinem Nachtisch, bevor er antwortete, als bedurfte er einer Bewegung, um aus seinem inneren Schrecken herauszufinden.
    »Nichts, nichts. Was soll schon sein. Sag, meine Liebe.« Und er tat spielerisch so, als wäre seine Selbstversunkenheit gespielt. Dann fasste er sich wieder völlig und fügte mit einer rhetorischen Gebärde des Löffels hinzu: »Der, der jetzt dein Schwiegervater ist, hat nicht im mindesten übertrieben, als er mir von dir erzählt hat. Sag mir, was du willst, und ich tue es sofort für dich.«
    Er hatte viel getrunken. Luisa lachte einmal mechanisch auf und sagte:
    »Seit wann kennst du ihn?«
    »Ranz? Länger als sein eigener Sohn, dein hier anwesender frischgebackener Ehemann.« Ich wusste das nicht so genau, gewöhnlich interessiert man sich nicht für das, was vor der eigenen Geburt geschehen ist, wie die Freundschaften sich gestalten, die einem vorausgehen. Der Professor, der sich rühmte, in jeder Angelegenheit oder Neuigkeit mehr als jeder andere informiert zu sein, fügte hinzu, zu mir gewandt: »Ich habe sogar deine Mutter und deine Tante Teresa gekannt, bevor er sie kennenlernte, stell dir vor. Mein Vater war Arzt, und wenn er nach Madrid kam, besuchte er deinen Großvater. Ich habe ihn ein paarmal begleitet und sie alle ein wenig kennengelernt, deinen Vater fast nur vom Sehen, um die Wahrheit zu sagen. Bestimmt weißt du nicht, woran dein Großvater gestorben ist?«
    »An einem Herzanfall, glaube ich«, äußerte ich zögernd. »Eigentlich weiß ich es nicht genau, er starb kurz vor meiner Geburt, es gehört zu den Dingen, für die man sich nicht interessiert.«
    »Schlecht«, sagte der Professor, »alles interessiert, diese Apathie führt zu nichts. Klinisch gesehen starb er an einem Infarkt, ja, aber künstlerisch gesehen, so, wie man wirklich stirbt und worauf es ankommt, starb er aus Sorge, aus Furcht und aus Angst, und schuld

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