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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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vergangen, als ich glaubte, dachte ich, es konnte nicht sein, es war nicht so viel Zeit vergangen, dass sie eine stumme sexuelle Versöhnung hätten durchführen können und dadurch jetzt besänftigt waren. Aber so musste es gewesen sein, denn es schien, als wären sie beide beruhigt und lägen auf dem Bett, Miriam sogar zerstreut, sie sang zerstreut, mit den Unterbrechungen, die jemand macht, der in Wirklichkeit vor sich hin trällert, ohne zu bemerken, dass er es tut, während er sich sorgfältig wäscht oder jemanden liebkost, der sich an seiner Seite befindet (ein Kind, dem man etwas vorsingt). Und was sie trällerte, war Folgendes:
    »Lüge Schwiegermutter, yen yen yen, wir spielen nur ein Spiel, yen yen yen, wie in meinem Land, yen yen yen.«
    Diese Worte erschreckten mich wohl, mehr noch als die ersten des Singsangs, weil sie etwas Bestätigendes hatten (manchmal hört man gut, traut jedoch seinen Ohren nicht), und ich spürte einen leichten Schauer, wie Luisa zu Beginn ihres Unwohlseins. Und Miriam fügte in neutralem, wenn nicht mattem Ton hinzu, auch jetzt ohne Übergang:
    »Wenn du sie nicht umbringst, bring ich mich um. Du wirst eine Tote haben, sie oder mich.«
    Guillermo gab dieses Mal keine Antwort, aber mein Schrecken und mein Schauer waren Miriams Sätzen vorausgegangen und auf das Lied zurückzuführen, das ich seit sehr langer Zeit kannte, denn dieses Lied sang mir meine Großmutter vor, als ich ein Kind war, oder, besser gesagt, sie sang es mir nicht vor, denn es war nicht gerade ein Kinderlied und gehörte in Wirklichkeit zu einer Geschichte oder einer Erzählung, die zwar ebenfalls nicht für Kinder war, die sie mir jedoch erzählte, um mir Angst einzujagen, eine verantwortungslose und heitere Angst. Aber manchmal, auch wenn sie gelangweilt in einem Sessel bei sich oder bei mir zu Hause saß und sich fächelte und zusah, wie der Nachmittag verging, während sie darauf wartete, dass meine Mutter kam, um mich abzuholen oder sie abzulösen, trällerte sie auch Lieder vor sich hin, ohne es zu merken, um sich zu zerstreuen, ohne den Vorsatz, sich zu zerstreuen, sie trällerte, ohne zu gewahren, was sie tat, mit der gleichen Lustlosigkeit und Absichtslosigkeit, mit der Miriam eben vor einer angelehnten Balkontür geträllert hatte, und mit dem gleichen Akzent. Es war jener unbewusste Gesang, der für niemanden bestimmt ist, wie der Gesang der Dienstmädchen, wenn sie die Böden wischten oder die Wäsche aufhängten oder mit dem Staubsauger oder trägen Federwischen hantierten an den Tagen, an denen ich krank war und nicht in die Schule ging und die Welt von meinem Kopfkissen aus sah und sie in ihrer morgendlichen Stimmung hörte, die sich so sehr von der nachmittäglichen unterschied; wie das bedeutungslose Gesumme meiner eigenen Mutter, wenn sie sich vor dem Spiegel kämmte oder die Frisur mit Haarnadeln befestigte oder mit dem Einsteckkamm beschäftigt war und lange Ohrringe anlegte, um am Sonntag zur Messe zu gehen, dieser weibliche Gesang zwischen den Zähnen (Klammern oder Haarnadeln zwischen den Zähnen), der nicht angestimmt wird, um gehört zu werden, und schon gar nicht, um gedolmetscht oder übersetzt zu werden, den jedoch jemand, das Kind, das auf sein Kissen geflüchtet ist oder in der Öffnung einer Tür lehnt, welche nicht die seines Schlafzimmers ist, hört und lernt und nicht mehr vergisst, und sei es auch nur, weil dieser absichts- und ziellose Singsang dennoch hervorgebracht wird und weder verstummt noch verklingt, nachdem er erklungen ist, wenn ihm die Stille des erwachsenen Lebens folgt, oder vielleicht ist es männlich. Dieser unbewusste, schwebende Gesang wird in allen Madrider Häusern meiner Kindheit viele Jahre lang jeden Morgen ertönt sein, wie eine Botschaft ohne Bedeutung, welche die ganze Stadt verband und sie verflocht und in Einklang brachte, ein ständiger Tonschleier, der ansteckend wirkte, der sie bedeckte, von den Innenhöfen zu den Portalen, vor den Fenstern und in den Fluren, in den Küchen und in den Badezimmern, auf den Treppen und auf den Terrassendächern, mit Schürzen, Kitteln und Morgenmänteln und mit Nachthemden und teuren Kleidern. Er wurde von allen Frauen jener Zeiten geträllert, die nicht so weit von diesen entfernt sind, die Dienstmädchen sehr früh am Morgen, wenn sie die Glieder streckten, und die Ehefrauen oder Mütter ein wenig später, wenn sie sich zurechtmachten, um einkaufen zu gehen oder irgendetwas Überflüssiges zu erledigen, sie alle

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