Mein Herz so weiß
versuchen, so wenig wie möglich zu insistieren, und natürlich nicht noch einmal den gewaltsamen Tod jener Frau zu befehlen oder zu verlangen, die sich krank in Spanien befand und nicht auf dem Laufenden war über das, was jedes Mal in Havanna geschah, wenn ihr diplomatischer oder industrieller oder vielleicht kommerzieller Ehemann im Rahmen seiner Geschäfte oder seiner Missionen dorthin reiste. Ich dachte, dass Miriam ebenfalls recht haben konnte in ihrem Misstrauen und ihren Klagen, dass womöglich alles ein Trick war und diese Ehefrau in Spanien nicht existierte, oder wohl existierte, aber sich bester Gesundheit erfreute und nicht wusste, dass sie in den Augen einer unbekannten, auf einem anderen Kontinent lebenden Mulattin eine Sterbende war, deren Tod man erwartete und herbeiwünschte, für deren Tod man womöglich betete oder, schlimmer noch, deren Tod man an jenem anderen Ende der Welt in Gedanken und Worten vorwegnahm oder herbeiredete.
Ich wusste nicht, für welche Seite ich Partei ergreifen sollte, denn wenn man einem Streit beiwohnt (auch wenn man ihn nicht sieht und ihn nur hört: Wenn man
einer Sache
beiwohnt und es zu wissen beginnt), dann kann man fast nie ganz unparteiisch bleiben und verhindern, Sympathie oder Antipathie, Abneigung oder Mitleid für eine der beiden streitenden Parteien oder einen Dritten zu empfinden, von dem die Rede ist, der Fluch dessen, der sieht oder hört. Ich merkte, dass ich es nicht wusste, weil es unmöglich war, die Wahrheit zu wissen, die mir indes nicht immer ausschlaggebend erschienen ist, wenn es galt, für Dinge oder für Menschen Partei zu ergreifen. Vielleicht hatte der Mann Miriam mit immer unhaltbareren falschen Versprechen eingefangen, aber es bestand auch die Möglichkeit, dass es nicht so war, dass sie ihrerseits Guillermo nur wollte, um aus der Isolation und dem Mangel, um aus Kuba herauszukommen, um sich zu verbessern, um zu heiraten oder vielmehr, um mit ihm verheiratet zu sein, um nicht länger ihren eigenen Platz, sondern den eines anderen Menschen einzunehmen, alle Welt bewegt sich oft nur, um seinen Platz nicht mehr einzunehmen und den eines anderen zu usurpieren, nur deshalb, um sich selbst zu vergessen und den zu begraben, der man gewesen ist, alle haben wir es unsäglich satt, der zu sein, der wir sind und der wir gewesen sind. Ich fragte mich, wie lange Guillermo wohl verheiratet sein mochte. Ich war erst seit zwei Wochen verheiratet, und das Letzte, was ich wollte, war Luisas Tod, im Gegenteil, gerade diese Gefahr, die mit ihrer vorübergehenden Krankheit verbunden war, hatte mich vor einer Weile mit Angst erfüllt. Was ich auf der anderen Seite der Wand hörte, trug nicht dazu bei, mich zu beruhigen oder meine Unbehagen zu zerstreuen, die, wie ich bereits gesagt habe, mich in verschiedenen Formen seit der Zeremonie heimsuchten. Diese ausspionierte Unterhaltung verstärkte mein Katastrophengefühl, und plötzlich schaute ich mich bewusst in dem schlecht erleuchteten Spiegel an, den ich vor mir hatte, das einzige eingeschaltete Licht befand sich weit von ihm entfernt, mit meinen hochgekrempelten Ärmeln, meine im Halbdunkel sitzende Gestalt, ein noch junger Mann, wenn ich mich mit Wohlwollen oder rückblickend betrachtete, mit dem Willen, den wiederzuerkennen, der ich im Lauf der Zeit gewesen war, aber fast mittleren Alters, wenn ich mich vorausblickend oder mit Pessimismus betrachtete, wenn ich meine Erscheinung in einer sehr nahen Zeit erahnte. Auf der anderen Seite, jenseits des verdüsterten Spiegels, gab es einen anderen Mann, mit dem eine Frau mich von der Straße aus verwechselt hatte und der mir daher vielleicht ähnelte, er konnte ein wenig älter sein, deshalb oder warum auch immer war er vermutlich länger verheiratet, lange genug, dachte ich, um den Tod seiner Frau zu wünschen, um sie in seine Arme zu treiben, wie er gesagt hatte. Gewiss hatte dieser Mann irgendwann einmal seine Hochzeitsreise gemacht, hatte er das gleiche Gefühl von Beginn und Ende gehabt, das ich jetzt empfand, hatte er seine konkrete Zukunft verpfändet und seine abstrakte Zukunft verloren, so sehr, dass auch er es nötig hatte, seine eigene Hoffnung auf der Insel Kuba zu suchen, wohin er sich oft seiner Arbeit wegen begab. Auch Miriam war seine Hoffnung, jemand, um den man sich kümmern, jemand, um den man sich sorgen und um den man fürchten und vor dem man vielleicht Angst haben konnte (ich hatte sie nicht vergessen, die Gebärde des Packens, die Klaue, als
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