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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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war mit seiner Nuancierung, weshalb ich mich darauf beschränkte, sie so zu übersetzen, wie er sie formuliert hatte. Er schwenkte die unzähligen Schlüssel, wobei er ein großes Getöse veranstaltete, ein nervöser Mensch, er ließ mich nicht gut hören, ein Dolmetscher braucht Stille, um seine Aufgabe zu erfüllen.
    Die Staatenlenkerin betrachtete ihre langen, gepflegten Fingernägel, jetzt eher mit unbewusster Koketterie als mit Unbehagen oder Argwohn, wie sie es zuvor in fingiertem Erstaunen getan hatte. Sie zog vergeblich am Rock, denn sie hatte ihre Beine noch immer übereinandergeschlagen.
    »Das ist das Gleiche, glauben Sie nicht? Es gibt nur einen zeitlichen Unterschied, was ist zuerst da, was kommt vorher, denn das eine verwandelt sich in das andere und das andere in das eine, unausweichlich. All das hat mit den
faits accomplis
zu tun, wie die Franzosen sagen. Wenn man einem Land befiehlt, seine Regierenden zu lieben, wird es schließlich überzeugt sein, dass es sie liebt, zumindest eher, als wenn man es ihm nicht befiehlt. Wir können es ihm nicht befehlen, das ist das Problem.«
    Ich fragte mich auch bei ihr, ob der letzte Kommentar nicht zu weit ging für die demokratischen Ohren unseres hohen Würdenträgers, und nach einer Sekunde Zögern und einem raschen Blick auf die anderen, besseren Beine, die mich überwachten, entschied ich mich dafür, »das ist das Problem« wegzulassen. Die Beine bewegten sich nicht, und ich stellte sogleich fest, dass meine demokratischen Skrupel nicht gerechtfertigt gewesen waren, denn der Spanier klopfte als Antwort äußerst nachdrücklich mit den Schlüsseln auf den niedrigen Tisch:
    »Das ist das Problem, das ist unser Problem, dass wir es ihm nicht befehlen können. Sehen Sie, ich kann nicht tun, was unser Diktator Franco getan hat, die Leute zu einer Jubelkundgebung auf der Plaza de Oriente versammeln« – hier sah ich mich gezwungen zu übersetzen »auf einem großen Platz«, denn ich war der Meinung, dass das Wort »Oriente« die englische Dame verwirren könnte –, »damit sie uns Beifall klatschen, dem Kabinett, meine ich, wir sind nur Teil eines Kabinetts, so ist es doch, nicht? Er tat es ungestraft, unter jedem Vorwand, und man hat gesagt, die Leute seien unter Zwang hingegangen, um ihm zuzujubeln. Das stimmt, aber es stimmt auch, dass sie den Platz füllten, es gibt Fotos und Dokumentarfilme, die nicht lügen, unmöglich, dass alle unter Zwang kamen, vor allem in den letzten Jahren, als die Repressalien nicht so hart waren oder nur die staatlichen Beamten treffen konnten, eine Sanktion, eine Entlassung. Viele Leute waren bereits überzeugt, dass sie ihn liebten, und warum? Weil man sie vorher dazu gezwungen hatte, jahrzehntelang. Lieben ist eine Gewohnheit.«
    »Oh, mein lieber Freund«, rief die hohe Würdenträgerin aus, »Sie wissen nicht, wie sehr ich Sie verstehe, Sie wissen nicht, was ich für eine Kundgebung dieser Art geben würde. Dieses Schauspiel einer ganzen Nation, die sich wie in einem Fest vereint, findet in meinem Land leider nur statt, wenn protestiert wird. Es ist sehr entmutigend zu hören, wie sie uns beschimpfen, ohne uns zuzuhören, ohne unsere Gesetze zu lesen, das vollzählige Kabinett, wie Sie richtig sagen, mit ihren beleidigenden Transparenten, sehr deprimierend.«
    »Und mit Slogans. Sie rufen Slogans«, warf unser Staatenlenker ein. Aber das übersetzte ich nicht, weil es mir nicht wichtig erschien und ich auch keine Zeit dazu fand; die englische Dame setzte ihre Klage fort, ohne auf ihn zu achten:
    »Können sie uns denn niemals zujubeln? Ich frage mich: Machen wir nie irgendetwas richtig? Mir jubeln nur die Leute meiner Partei zu, und an deren Aufrichtigkeit kann ich natürlich nicht ganz glauben. Nur im Krieg werden wir unterstützt, ich weiß nicht, ob Sie das wissen, nur, wenn wir das Land in den Krieg führen, dann …«
    Die britische Staatenlenkerin verharrte nachdenklich, das Wort schwebte ihr auf den Lippen, als erinnerte sie sich an die Hochrufe der Vergangenheit, die nicht wiederkehren würden. Sie setzte schamhaft und vorsichtig die Beine nebeneinander und zog abermals energisch ihren Rock in die Länge, wie durch ein Wunder gelang es ihr, ihn noch einmal zwei Fingerbreit hinunterzuziehen. Allmählich missfiel mir die Wendung, welche die Unterhaltung durch meine Schuld genommen hatte. Heiliger Himmel, dachte ich (aber ich hätte es gerne zu Luisa gesagt), diese demokratischen Politiker sind Nostalgiker der

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