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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Diktatur, für sie wird jeder Erfolg und jede Zustimmung immer nur die blasse Verwirklichung eines zutiefst totalitären Wunsches sein, des Wunsches nach Einmütigkeit, danach, dass alle einverstanden sind, und je mehr sich diese partielle Verwirklichung der unmöglichen Totalität annähert, umso größer wird ihre Euphorie sein, wenn auch nie groß genug; sie preisen die Abweichung, aber in Wirklichkeit empfinden alle sie als einen Fluch und als Unsinn. Ich übersetzte korrekt, was die Dame gesagt hatte, mit Ausnahme ihrer Erwähnung des Krieges am Schluss (ich wollte nicht, dass unser hoher Würdenträger auf schlechte Gedanken käme) und legte ihr stattdessen die folgende Bitte in den Mund:
    »Entschuldigen Sie, würde es Ihnen etwas ausmachen, diese Schlüssel einzustecken? Ich leide sehr unter Lärm in der letzten Zeit, ich danke Ihnen.«
    Luisas Beine verharrten in ihrer Stellung, so dass ich, nachdem unser Staatenlenker sich leicht errötend entschuldigt und unverzüglich den umfangreichen Schlüsselbund in die Jackentasche zurückbefördert hatte (sie musste schon völlig durchlöchert sein bei diesem Gewicht), ihn abermals zu verraten wagte, denn er sagte:
    »Ah, natürlich, wenn wir etwas richtig machen, dann ruft niemand zu einer Kundgebung auf, damit wir erfahren, dass es ihnen gefallen hat.«
    Ich beschloss dagegen, ihn auf ein persönlicheres Terrain zu führen, das mir weniger gefährlich und auch interessanter erschien, und ließ ihn in klarstem Englisch sagen:
    »Wenn ich Sie fragen darf und Ihnen nicht zu nahe trete, haben Sie, in Ihrem Liebesleben, jemanden gezwungen, Sie zu lieben?«
    Ich begriff auf der Stelle, dass die Frage zu gewagt war, vor allem einer Engländerin gegenüber, und ich war überzeugt, dass Luisa dieses Mal kein Auge zudrücken würde, mehr noch, sie würde sich als »Ko« betätigen, mich denunzieren und aus dem Zimmer werfen, ein großes Gezeter veranstalten, wie ist das möglich, so weit sind wir gekommen, Fälschung und Farce, das ist kein Spiel. Meine berufliche Laufbahn wäre ruiniert. Ich beobachtete aufmerksam und voller Furcht die glänzenden, ihres Rockes nicht achtenden Beine, außerdem hatten sie jetzt Zeit, nachzudenken und zu reagieren, da die britische Dame sich ihrerseits Zeit nahm, um etliche Sekunden lang zu überlegen, bevor sie reagierte. Sie schaute unseren hohen Würdenträger mit halb offenem Mund und respektvoller Miene an (zu viel Lippenstift, der sich auf die Zwischenräume ihrer Zähne ausbreitete), und er holte angesichts dieses neuen Schweigens, das er nicht verursacht hatte und das er sich sicher nicht erklären konnte, einen weiteren Zigarillo hervor und zündete ihn an der Kippe des vorherigen an, was (glaube ich) einen sehr schlechten Eindruck machte. Aber Luisas gesegnete Beine rührten sich nicht, sie waren noch immer übereinandergeschlagen, wenn sie auch vielleicht wippten: ich bemerkte nur, dass sie sich noch ein wenig mehr auf ihrem Folterstuhl aufrichtete, als hielte sie den Atem an, erschrockener womöglich angesichts der möglichen Antwort als angesichts der bereits unwiderruflichen Indiskretion; oder vielleicht, dachte ich, wollte auch sie es wissen, nun, da die Frage schon einmal gestellt war. Sie verriet mich nicht, sie dementierte nicht, sie griff nicht ein, sie blieb stumm, und ich dachte, wenn mir das erlaubt war, dann konnte ich mir alles im Laufe meines Lebens oder meines halben, noch nicht gelebten Lebens erlauben.
    »Hmmm. Hmmm. Mehr als einmal, mehr als einmal, glauben Sie mir«, sagte schließlich die englische Staatenlenkerin, und in ihrer lauten Stimme schwang der Anklang einer fernen Emotion mit, die so fern war, dass sie möglicherweise nur noch in dieser Form dingfest gemacht werden konnte, in der herrischen Stimme, die plötzlich stammelte. »Wirklich, ich frage mich, ob jemand mich je geliebt hat, ohne dass ich ihn zuvor gezwungen hätte, selbst die Kinder, nun ja, die Kinder werden von allen am meisten gezwungen. So ist es mir immer ergangen, aber ich frage mich auch, ob es jemanden in der Welt gibt, dem es anders ergangen ist. Sehen Sie, ich glaube nicht an diese Geschichten, die im Fernsehen erzählt werden, Menschen, die einander begegnen und sich ohne jede Schwierigkeit lieben, beide sind frei und verfügbar, keiner hat Zweifel, keiner empfindet verfrühte Reue. Ich glaube nicht, dass das jemals passiert, nie, nicht einmal unter den Jüngeren. Jede Beziehung zwischen Menschen ist immer eine Ansammlung von

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