Mein Herz so weiß
Problemen, Auseinandersetzungen, auch von Kränkungen und Demütigungen. Jeder zwingt jeden, nicht so sehr, etwas zu tun, was er nicht will, als etwas zu tun, von dem er nicht weiß, ob er es will, denn fast niemand weiß, was er nicht will, und noch weniger, was er will, es ist nicht möglich, das zu wissen. Wenn niemand jemals zu etwas gezwungen würde, würde die Welt zum Stillstand kommen, alles würde in einer globalen, anhaltenden Unentschiedenheit schweben, endlos. Die Leute wollen nur schlafen, die vorweggenommene Reue würde uns lähmen, sich vorstellen, was nach den noch ungetanen Taten kommt, ist immer furchtbar, deshalb sind wir Regierenden so unverzichtbar, wir sind da, um die Entscheidungen zu treffen, die die anderen nie treffen würden, gelähmt wie sie sind durch ihre Zweifel und den Mangel an Willenskraft. Wir hören ihrer Angst zu. ›Schlafende und Tote sind Bilder nur‹, sagte unser Shakespeare, und ich denke bisweilen, dass alle Menschen nur das sind, Bilder, gegenwärtige Schlafende und künftige Tote. Deshalb wählen sie uns und bezahlen sie uns, damit wir sie aufwecken, damit wir sie daran erinnern, dass ihre Stunde, die kommen wird, noch nicht gekommen ist, und wir uns dennoch in der Zwischenzeit zum Träger ihres Willens machen. Aber natürlich, man muss es in einer Weise tun, dass sie noch immer glauben, sie träfen eine Wahl, so wie die Paare sich im beiderseitigen Glauben zusammentun, dass sie bei wachen Sinnen eine Wahl getroffen haben. Es geht nicht mehr darum, dass einer der beiden vom anderen gezwungen oder, wenn man es lieber hat, überzeugt wurde; denn zweifellos trifft das für beide zu, in dem einen oder anderen Augenblick des langen Prozesses, der sie dazu brachte, sich zu verbinden, meinen Sie nicht?, und dann, eine Zeit lang zusammenzubleiben oder bis zum Tod. Manchmal hat etwas Äußeres sie gezwungen oder jemand, der nicht mehr in ihren Leben ist, die Vergangenheit zwingt sie, ihre Unzufriedenheit, ihre eigene Geschichte, ihre glücklose Biographie. Oder sogar Dinge, von denen sie nichts wissen und die sie nicht wissen können, der Teil unseres Erbes, den wir alle in uns tragen und nicht kennen, wer weiß, wann dieser Prozess begonnen hat …«
Während ich die langen Ausführungen der hohen Würdenträgerin übersetzte (ich überging das »Hmmm. Hmmm.« und begann mit »… ich frage mich, ob jemand …«, das machte den Dialog zwischen ihnen kohärenter), sprach die Frau, den Blick auf den Boden gesenkt, mit einem bescheidenen, abwesenden, vielleicht ein wenig verschämten Lächeln, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, ausgestreckt, wie es oft müßige Frauen eines gewissen Alters tun, wenn sie zusehen, wie der Nachmittag vorbeigeht, obwohl sie nicht müßig sind und es noch Vormittag war. Und während ich jene Rede fast simultan übersetzte und mich fragte, woher das Shakespeare-Zitat stammen mochte (»The sleeping and the dead, are but as pictures«, hatte sie gesagt, und ich hatte in dem Augenblick, da ich es von ihren geschminkten Lippen hörte, nicht recht gewusst, ob ich »Schläfer« und »Gemälde« sagen sollte), und ich fragte mich auch, ob das Ganze nicht eine zu weitschweifige Überlegung war, um von unserem Staatenlenker vollkommen verstanden zu werden, ob er sich nicht verlieren und keine ehrenwerte Antwort finden würde, ich spürte, dass Luisas Kopf sich mir, meinem Nacken genähert hatte, als hätte sie sich ein wenig vorgereckt oder geneigt, um besser beide Versionen hören zu können, ohne auf den Abstand zu achten, das heißt, auf den kurzen Abstand, der sie von mir trennte und der jetzt, mit ihrer Bewegung nach vorn (mit dem vorgereckten Gesicht: Nase, Augen und Mund; Kinn, Stirn und Wangen), noch kürzer geworden war, so dass ich ihren Atem leicht an meinem linken Ohr spürte, ihr leicht veränderter oder beschleunigter Atem streifte jetzt mein Ohr, das Ohrläppchen, als wäre er ein Flüstern, so leise, dass es der Botschaft oder der Bedeutung entbehrte, als wäre nur der Atem und der Akt des Flüsterns das Übermittelbare und vielleicht das leichte Wogen der Brust, die mich nicht berührte, die ich jedoch näher spürte, ganz dicht und unbekannt. Es ist die Brust einer anderen Person, die uns den Rücken stärkt, wir fühlen uns nur wirklich geschützt, wenn jemand hinter uns steht, das besagt der Ausdruck selbst, in unserem Rücken, wie auch im Englischen,
to back
, jemand, den wir vielleicht nicht sehen und der uns den Rücken deckt mit
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