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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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wenn es erzählt wird.
    Was nach meiner Rückkehr geschah, weiß ich nicht genau, oder besser gesagt, ich weiß nicht und werde vielleicht erst in vielen Jahren wissen, was während meiner Abwesenheit vorgefallen ist. Ich weiß nur, dass ich in einer Regennacht, zu Hause mit Luisa, als eine Woche seit meiner Rückkehr aus New York nach acht Wochen Arbeit und Zusammensein mit Berta vergangen war, aus dem Bett aufstand und das Kissen verließ und zum Kühlschrank ging. Es war kalt oder der Kühlschrank ließ mich frieren, ich ging ins Badezimmer und zog mir einen Hausmantel an (ich war versucht, den Bademantel als Hausmantel zu benutzen, aber ich tat es nicht), und dann, während Luisa ihrerseits ins Badezimmer ging, um sich zu waschen, blieb ich eine Weile in dem Zimmer stehen, in dem ich arbeite, und sah mir stehend einige Texte an, die Coca-Cola in der Hand und schon schläfrig. Der Regen fiel, wie so oft im wolkenlosen Madrid, eintönig und ermüdend und ohne Wind, der ihn auffahren lässt, als wüsste er, dass er Tage dauern wird und hätte weder Wut noch Eile. Ich schaute hinaus auf die Bäume und die Lichtkegel der gebogenen Straßenlampen, die den herabströmenden Regen erleuchten und ihn silbrig erscheinen lassen, und dann sah ich eine Gestalt an derselben Ecke, an die sich später der alte Drehorgelspieler und die Zigeunerin mit Zopf und Plastikteller stellten, dieselbe Ecke, die nur teilweise von meinem Fenster aus sichtbar ist, die Gestalt eines Mannes, der sich im Gegensatz zu den beiden ganz in meinem Gesichtsfeld befand, denn er schützte sich vor dem Wasser – mehr schlecht als recht – unter der Dachtraufe des Gebäudes, das mir nicht das Licht nimmt und das wir gegenüber haben und an dessen Wand er sich drängte, entfernt von der Fahrbahn, schwerlich könnte ihn ein Wagen überfahren, und es war kaum Verkehr. Er schützte sich auch mit einem Hut, was in Madrid ein seltsamer Anblick ist, wenn auch etwas weniger an Regentagen, einige ältere Herren, wie Ranz, mein Vater, setzen sich einen auf. Jene Gestalt (das sieht man sofort) war nicht die eines älteren Herrn, sondern die eines noch jungen, großen und aufrechten Mannes. Die Krempe seines Hutes und die Dunkelheit und die Entfernung erlaubten mir nicht, sein Gesicht zu sehen, ich meine, seine Gesichtszüge zu erkennen (ich sah den weißen Fleck eines beliebigen Gesichts im Dunkeln, seines war weit vom nächsten Lichtkegel entfernt), denn was mich veranlasste, ihn eingehender zu betrachten, war gerade die Tatsache, dass er den Kopf erhoben hatte und nach oben schaute, er schaute genau – oder das glaubte ich – zu unseren Fenstern, besser gesagt, zu dem, das jetzt zu meiner Linken lag und das das unseres Schlafzimmers war. Der Mann konnte von seiner Position aus nichts im Innern dieses Zimmers sehen, das Einzige, was er sehen konnte – und vielleicht beobachtete –, war, ob Licht in ihm brannte oder nicht, oder vielleicht – dachte ich – den Schatten unserer Gestalten, Luisas oder meiner, wenn wir nahe genug ans Fenster traten oder es getan hätten, ich erinnerte mich nicht. Er konnte auf ein Zeichen warten, ein Zeichen mit den Lichtern, die ein- und ausgeschaltet werden, wie bei den Augen, man hat seit unvordenklichen Zeiten Zeichen gemacht, die Augen öffnen und schließen und in der Ferne Fackeln schwenken. In Wirklichkeit erkannte ich ihn sofort, obwohl ich seine Gesichtszüge nicht sah, die Gestalten der Kindheit sind überall und jederzeit auf den ersten Blick unverwechselbar, auch wenn sie sich seitdem verändert haben oder gewachsen oder gealtert sind. Aber ich zögerte einige Sekunden, bevor ich es mir eingestand, bevor ich mir eingestand, dass ich unter der Dachtraufe und dem Regen Custardoy den Jüngeren erkannte, der zu unserem intimsten Fenster schaute, der wartete und Ausschau hielt, wie ein Verliebter, ein wenig wie Miriam oder wie ich selbst vor ein paar Tagen, Miriam und ich in anderen Städten jenseits des Ozeans, Custardoy hier, an der Ecke meines Hauses. Ich hatte nicht wie ein Verliebter gewartet, aber doch wohl darauf, dass das Gleiche ein Ende fand, auf dessen Ende womöglich Custardoy wartete, darauf, dass Luisa und ich endgültig das Licht löschten, damit er sich uns schlafend und mit dem Rücken zueinander vorstellen konnte, nicht einander zugewandt und vielleicht in einer wachen Umarmung. ›Was macht Custardoy hier‹, dachte ich, ›das ist Zufall, der Regen hat ihn überrascht, als er durch unsere

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