Mein Herz springt (German Edition)
Morgen zum Frühstück verabredet.
Ich überfliege die Broschüre. Einen genauen Plan darüber, welche Vorträge ich besuche, will ich mir in Ruhe heute Abend im Hotelzimmer verschaffen. Beim Querlesen des Programms bleibt mein Blick an einem der Hauptvorträge des Kongresses hängen. Thema: Prophylaxe von koronaren Herzerkrankungen; Referent: Prof. Dr. med. Hanno Clausen aus Hamburg. Er wird also tatsächlich vor Ort sein. So sieht es das Programm zumindest vor. Zugegebenermaßen habe ich gerade in den ersten Tagen nach seinem Besuch in unserer Klinik öfters darüber nachgedacht, ob er in Wien wohl dabei sein würde. Und in den darauffolgenden Wochen habe ich es ohne auch nur eine Sekunde Unterbrechung gehofft. Eigentlich war er als internationaler Kardiologie-Experte gesetzt. Aber natürlich hätte auch die Möglichkeit bestanden, dass er andere berufliche Verpflichtungenhat oder seinen Jahresurlaub mit der Familie gerade auf einem Road Trip an der Westküste der USA verbringt oder, oder, oder. Und natürlich kann es trotz der Ankündigung seines Vortrags auf Hochglanzpapier immer noch sein, dass er oder ein Familienmitglied kurzfristig erkrankt. Auch Herzkoryphäen sind Menschen.
Ich zwinge mich, wieder auf andere Gedanken zu kommen. Prof. Dr. med. Hanno Clausen wird einer von 15.000 Kongressbesuchern sein. Bei einer eventuellen Begegnung wird er sich vielleicht nicht an mich erinnern und ich werde mich zu Tode ärgern, dass ich mir Gedanken bezüglich seiner Teilnahme gemacht habe. Mein Verhalten ist kindisch und albern. Und vor allem entspricht es nicht meiner Rolle als Ehefrau und Mutter.
Immer wieder frage ich mich, was mich an diesem Mann so fasziniert: Es ist nicht das Äußere – seine große, schmale Gestalt, die Arme, die sich fast teilnahmslos an seiner Seite bewegen. Es ist nicht sein Auftreten – sein ruhiger, selbstbewusster, fast ignoranter Umgang mit den Kollegen. Es ist weder seine Stimme, noch sind es seine Hände, noch die Ohren, die Augen, das Haar, das meine Aufmerksamkeit hätte auf sich ziehen können. Er ist kein Frauentyp, kein Mann, der flirtet, der zielgerichtet Frauen in seinen Bann zieht. Zweifelsohne blickt er auf eine erfolgreiche Karriere. Aber ich habe auch schon andere erfolgreiche Mediziner kennengelernt, die mich das ein oder andere Mal optisch ansprachen. Was war es? Was ist passiert? Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist ein kurzer Moment, eine hundertstel Sekunde, ein flüchtiger Blickkontakt in der Klinik, der mich offensichtlich magisch berührt hat und mich seit dieser Begegnung nicht mehr loslässt.
Ich packe das Programmheft wieder in meine Tasche. Der Schaffner kündigt als nächsten Halt Wien Westbahnhof an. Ich stehe an der Tür des Zuges und beobachte die Einfahrt in denBahnhof. Den Moment, nach einer Reise an einem Ziel anzukommen, empfand ich schon immer als einen ganz besonderen. Er erzeugt ein leichtes Kribbeln im Bauch. Ich bin voller Erwartung, was mir das Leben in den nächsten Tagen bieten wird. Was mir Wien bieten wird.
Zum Hotel gönne ich mir ein Taxi. Dort angekommen, packe ich zuerst meinen Koffer aus. Das tue ich nicht immer. Aber diesmal ist mir wichtig, dass meine Kleider im bestmöglichen Zustand getragen werden können. Ich sortiere meine Wasch- und Schminkutensilien säuberlich in die Zahnputzgläser des Hotelbadezimmers. Zur Erfrischung nehme ich eine Dusche. Das tut gut. Danach lege ich mich – in das große, flauschige Handtuch eingewickelt – auf das Bett und rufe zu Hause an. Kalle geht an den Apparat. Er begrüßt mich sofort: »Hallo, mein Schatz. Bist du gut angekommen?«
»Ja, alles gut. Ich bin jetzt im Hotel und werde mich noch ein bisschen auf morgen vorbereiten. Wie geht es Frieda und Mama?«
»Alles bestens. Deine Mutter bringt gerade die Kleine ins Bett. Magst du ihr noch kurz ›Gute Nacht‹ sagen?«
»Ja, unbedingt.« Ich höre, wie Kalle leise ins Kinderzimmer schleicht, um die Ruhe nicht zu stören.
»Frieda, Mama ist am Telefon und möchte noch einmal deine Stimme hören.«
»Gib mir schnell den Hörer«, höre ich Frieda aufgeregt flüstern.
»Hallo, meine kleine Prinzessin. Ich habe dich ganz doll lieb und vermisse dich schon sehr.«
»Ich hab dich auch lieb«, antwortet Frieda. »Mama, wann kommst du wieder?«
»Am Sonntag, meine Liebe.«
»Was machst du in Wien und wieso musst du so lange weg bleiben?«
»Weil ich arbeiten muss, Frieda. Jetzt schlaf‘ schön und träum‘ süß. Gibst du mir bitte
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