Mein Herz springt (German Edition)
Befürchtung, nämlich dass mich Hanno wie eine von vielen behandeln könne, ist nicht eingetreten. Im Gegenteil. Er behandelt mich höflich und respektvoll – auf eine sehr persönliche Art und Weise. Er vermittelt den Anschein, dass wir uns schon länger kennen. Mehr nicht.
Wir speisen lecker und ausgiebig. Zu unserem Hauptgang serviert der Kellner einen französischen Bordeaux. Ich genieße den Abend. Es ist eine lustige Runde. Wir reden, lachen und trinken. Jeder trägt mit einem Schwank aus seiner medizinischen Laufbahn zu bester Unterhaltung bei. Meistens auf Kosten der Patienten. Aber so ist das in der Medizin. In anderen Berufen ist das sicher nicht anders.
Die Stunden vergehen wie im Flug. Gegen ein Uhr nachts kommt der Küchenchef persönlich, bedankt sich für unseren Besuch und weist diskret auf die Schließung des Lokals innerhalb der nächsten halben Stunde hin.
Hanno findet noch ein paar abschließende Worte: »So, liebe Kollegen, das war ein gelungener Nachmittag und ein noch gelungenerer Abend. Ich danke Ihnen für Ihre Ausdauer. Und wenn Sie diese noch ein bisschen strapazieren möchten, gehen Sie einfach direkt in eine der vielen netten Bars gleich nebenan. Ich persönlich muss mich verabschieden.Ich wünsche Ihnen noch eine gute Nacht und sage: Bis morgen.«
In dieser Minute überkommt mich ein kalter Schauer. Hanno verabschiedet sich einfach. Ich kann und will nicht mit den Kollegen um die Häuser ziehen. Ich möchte in Hannos Nähe sein.
Als alle draußen vor der Tür des Restaurants stehen und überlegen, wo es als Nächstes hingehen soll, verabschiede ich mich ebenfalls.
Hanno fragt mich: »In welche Richtung musst du? In welchem Hotel bist du untergebracht? Vielleicht können wir uns das Taxi ja für ein paar Meter teilen?«
Für ein paar Meter teilen? Was ist jetzt passiert? Wieso plötzlich diese Distanz? Wir hätten doch einfach zusammen in ein Taxi einsteigen können. »Ich wohne im Hotel ›Alsterblick‹, direkt an der Außenalster«, antworte ich geknickt. »Ich weiß nicht, ob das auf deinem Weg liegt.«
»Tut es«, entgegnet Hanno und hält ein vorbeifahrendes Taxi an.
Stille im Taxi. Noch vor fünf Minuten hätte ich Hanno in meiner Weinlaune unbefangen um den Hals fallen können. Jetzt weiß ich nicht, was zu tun oder zu lassen ist.
»Was ist los?«, fragt Hanno nach ein paar Sekunden. »Du bist jetzt gerade so anders!«
»Wieso anders?«, schießt es aus mir heraus.
»Eben warst du noch in bester Laune, jetzt machst du einen fast traurigen Eindruck. Kann ich etwas für dich tun?«
»Hanno«, bricht es aus mir heraus. »Die Situation überfordert mich gerade. Ich meine – unsere Situation. Ich habe so sehr darauf gewartet, dich wiederzusehen. Und jetzt sitzen wir hier im Taxi wie zwei ganz normale Kollegen, die den Heimweg zusammen antreten.«
»Ich weiß.« Hanno lehnt sich etwas zu mir herüber und legt seine Hand um meine Schulter. Und bevor er mir etwas erklären kann, schießen die Emotionen wie ein Blitz in mir hoch. Ich schaue ihn an, greife mit beiden Händen um seinen Kopf und küsse ihn leidenschaftlich. Das ist der Moment, auf den ich gewartet habe. Ich wünsche mir, dass diese Fahrt nie zu Ende ginge.
Aber sie geht zu Ende. Der Taxifahrer lässt unserer Leidenschaft noch ein paar Minuten freien Lauf. Dann meint er nachdrücklich: »So, meine Herrschaften, wir sind am Ziel. Das wären 12 Euro. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.«
Hanno zahlt und kommt kommentarlos mit in die Vorhalle des Hotels. Alleine die Vorstellung, was in den nächsten Sekunden, in den nächsten Minuten passieren könnte, treibt mich in den Wahnsinn. Wieder fallen wir uns in die Arme. Ich fühle mich im Rausch. Ich schwebe. Es gibt weder Raum noch Zeit. Es gibt nur noch uns. In der Empfangshalle, im Aufzug, auf den langen Fluren des Hotels. Mit zittrigen Fingern öffne ich die Türe meines Hotelzimmers. Dann endlich die Erlösung – endlich der Moment, um den sich mein ganzes Leben in den letzten Wochen wie ein orientierungsloser Kreisel drehte. Ich spüre meinen nackten Rücken am kalten Spiegel der Zimmerwand. Ich spüre Hannos kurze Atemzüge an meinem Hals, seine kraftvollen Hände unterhalb meines Pos. Er hebt mich, nimmt mich, entlässt mich aus der Realität. Er schickt mich in eine Sphäre, die nur noch das eine will: mehr. Mehr als alles, was es vorher gab und jemals danach geben wird. Er führt mich zu mir, in mich, zu sich. Er führt mich zu uns. Wir
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