Mein Herz springt (German Edition)
verschmelzen. Nichts ist mehr, wie es einmal war.
***
Mein schummriger Blick an die dunkle Decke des Hotelzimmers, die nur durch den schmalen Lichtkegel der Straßenlaterne erhellt wird, deutet die Rückkehr ins Hier und Jetzt an. Wir liegen beide wie ausgelaugt auf dem Bett. Verschwitzt, müde, überglücklich – aber auch wissend, dass dieser Augenblick in Kürze ein Ende finden wird. Dass er ein Ende finden muss.
Hanno legt seine Hand auf meinen nackten Oberschenkel. »Es ist unbeschreiblich, Betty. Unbeschreiblich schön. Ich würde dich am liebsten gar nicht mehr loslassen. Aber so bitter es auch klingen mag, ich muss jetzt los. Susanne wundert sich sicherlich schon, dass ich nicht nach Hause komme. Sei mir nicht böse, Betty.« Hanno steht auf, zieht seine Kleider an, gibt mir noch einen Kuss auf die Wange und verabschiedet sich: »Bis morgen. Ich freue mich auf dich.« Und weg ist er.
Noch lange liege ich wach auf meinem Bett. Die Realität holt mich ein. Ich komme mir seltsam vor. Wie eine Geliebte, die weinend von einem verheirateten Mann zurückgelassen wird. Ohne Hoffnung auf mehr. Ich fühle mich einsam. Wie gerne wäre ich jetzt bei Kalle. Ich vermisse ihn. Und doch kann man das gerade Geschehene nicht ungeschehen machen und schon gar nicht bereuen. Es war wunderschön. Es ist jetzt Teil meines Lebens. Es wird für immer in meinem Herzen sein.
Langsam werde ich müde. Ich genieße die Erinnerung an gerade eben. Es geht mir wieder besser. Ich sinke in den Schlaf.
Der Morgen danach fühlt sich ungewöhnlich an. Ich kann kaum glauben, dass es wirklich passiert ist. Es war alles wie im Traum. Ich zügele meine Gedanken und zwinge mich, konzentriert in den Tag zu starten. Es wartet ein diskussionsreiches Meeting auf mich.
Anders als gestern treffe ich heute zuerst im Besprechungsraum der Klinik ein. Ich gieße mir eine Tasse Kaffee ein undsetze mich wartend auf meinen gestrigen Platz. Plötzlich kommt Hanno herein. Ich merke ihm an, dass er mit mehreren Kollegen gerechnet hat. Und hier sitze nur ich.
»Guten Morgen«, begrüßt er mich förmlich. »Wo sind denn die anderen?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich sind sie gestern noch im Hamburger Nachtleben versumpft.«
»Ja, wahrscheinlich.« Hanno ist sichtlich überfordert mit der Situation. »Wie geht es dir?«, fragt er, mit seinem Blick an mir vorbeischweifend.
»Gut«, antworte ich knapp. »Und dir?«
»Betty, so etwas wie gestern darf nicht noch einmal passieren. Das halte ich nicht aus. Ich kann damit nicht umgehen. Es ist zu gefährlich.«
Ich wundere mich über seine plötzliche Emotionalität in diesem formellen Umfeld. Das passt nicht hierher. Um keine größere Diskussion zu entfachen, antworte ich mit einem kurzen: »O. k.« Dann kommen glücklicherweise die nächsten Kollegen in den Raum.
Es vergehen ein paar Minuten und wir sind komplett. Hanno eröffnet den Tag, indem er kurz die gestrigen Punkte rekapituliert. Er vermeidet es, in meine Richtung zu schauen. Ich fühle mich hilflos. Weil ich nicht weiß, wie ich mit einer solchen Kälte seinerseits am heutigen Vormittag umgehen soll. Ich versuche, mich zusammenzureißen. Ich leiste meine Beiträge, wie es von mir erwartet wird. Und hoffe, dass dieser Tag schnell vorbeigehen wird. Hanno geht es offenbar ähnlich.
Ich bin froh, als alles überstanden ist. Ich muss raus aus der Klinik, weg aus Hamburg, nach Hause nach Köln. Ich muss wieder klare Gedanken fassen. Die Gefühlsschwankungen laugen mich aus. Wir müssen diese Geschichte beenden.Sie führt ins Nirgendwo. Es gibt keine Zukunft. Nicht in diesem Leben.
Im Zug nach Köln stehe ich völlig neben mir. Immer wieder steigen mir Tränen in die Augen. Ich finde keine Antwort auf die Frage, wie das zwischen Hanno und mir weitergehen soll. Für den Moment glaube ich, meinen Frust von der Seele schreiben zu müssen. Ich muss mich von meinem Schmerz befreien, meine Gefühle in Worte fassen – sie so aus meinem Kopf verbannen. Ich hole meinen Laptop, den ich extra für das Forschungsprojekt von der Klinik bekommen habe, aus der Tasche und ringe nach dem ersten Satz.
»Lieber Hanno, auch auf die Gefahr hin, dass ich uns mit dieser E-Mail sehr verletze, muss ich dennoch meine Gefühle mit Dir teilen. Die letzte Nacht mit Dir und unsere Begegnung am heutigen Morgen haben mir gezeigt, wie eng Freude und Schmerz beieinanderliegen. Aber auch, wie weit unser Leben, das wir führen, von unserem Wunsch nach etwas Gemeinsamem entfernt ist.
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