Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)
sagt er nervös. »Es gibt noch kleinere Schwachstellen zu beheben …«
Ich packe den Zauberer am Kragen. »Hol es zurück!«
»Kann ich nicht, Majestät …«
»Auf der Stelle!«
Orville zittert. »Das möchtest du bestimmt nicht sehen«, flüstert er. »Die Person, mit der du zusammen bist … ist nämlich nicht Prinzessin Seraphima.«
Ich zupfe mir noch ein Haar aus und werfe es auf das Postament. Wieder erhebt sich die Rauchkuppel und die Szene erscheint, genau wie zuvor. »Wenn du es anfasst«, raune ich Orville zu, »stopfe ich dir die Froschaugen in den Hals.«
Das Mädchen in dem purpurfarbenen Nebel schlingt die Arme um mich. Langsam dreht sie sich um, sodass ich ihr Gesicht sehen kann.
Orville hatte recht.
Das wollte ich wirklich nicht sehen.
Nicht weil es nicht Seraphima ist, sondern weil es auch nicht Delilah ist.
Ich dachte immer, es wäre mein sehnlichster Wunsch, aus diesem blöden Buch herauszukommen. Jetzt weiß ich, dass man aufpassen muss, was man sich wünscht. Hier herauszukommen könnte sich nicht als mein kühnster Traum, sondern als mein schrecklichster Albtraum erweisen.
Ich habe versucht, mich aus dem Buch herauszuschreiben, und es hat nicht funktioniert. Ich habe meine Zukunft gesehen und Delilah kam nicht darin vor. Für immer in diesem Märchen gefangen zu sein, damit kann ich leben, aber ein Leben ohne sie ist unvorstellbar.
Ich brauche Hilfe. Und zwar schnell. Und deshalb renne ich trotz der unangenehmen Gewissheit, womöglich andere damit zu verletzen, zu Rapscullios Höhle.
Außer Atem und verschwitzt komme ich dort an. Die Tür steht offen, und ein himmlischer Vanilleduft weht mir entgegen. Ich taste mich hinein und treffe ihn in der Küche an, wo er Kekse bäckt. Gerade verziert er sie mit rosa Zuckerguss, und ich räuspere mich, um mir Aufmerksamkeit zu verschaffen.
»Ah, Majestät! Du kommst gerade recht, um die erste Ladung zu kosten. Sie sind noch warm!«
»Rapscullio«, sage ich. »Jetzt ist keine Zeit für Kekse. Ich brauche deine Hilfe.«
Da er merkt, dass es mir ernst ist, legt er seinen Spatel beiseite. »Der nächste Schwung muss in zwölf bis vierzehn Minuten aus dem Ofen, so lange habe ich Zeit«, erklärt er feierlich.
Ich packe ihn an der Hand und zerre ihn zur Staffelei, an der ich vor nicht allzu langer Zeit versucht habe, mich aus dem Buch zu malen, und so kläglich gescheitert bin. »Du musst etwas für mich malen.«
»Schon wieder?«, fragt Rapscullio. »Geht es um deinen Notfall? Hast du eine künstlerische Eingebung?«
»Tu es einfach«, sage ich frustriert. »Ich brauche das Porträt einer jungen Frau. Ich schildere dir, wie sie aussieht, und du überträgst ihr Bild auf deine spezielle Leinwand.«
Seine Augen beginnen zu leuchten. »Du meinst einen Steckbrief !«
Hmm. So konnte man es formulieren. »Genau«, sage ich.
»Ich habe schon mehrere angefertigt, weißt du. Mein Meisterwerk ist der vom Herzbuben, nachdem er die Törtchen der Königin gestohlen hatte. Er hängt immer noch im Kerker des Palasts.«
»Großartig.« Ich setze mich auf einen Bücherstapel, und eine Staubwolke wirbelt auf. »Also – sie hat dunkles Haar, das ihr auf die Schultern fällt. Es ist ganz glatt, nur an den Spitzen leicht gelockt.«
»Ich muss zuerst eine Skizze anfertigen.« Rapscullio nimmt einen Block und beginnt zu zeichnen. »Wie groß ist sie?«
Ich habe keine Ahnung. Dafür fehlt mir der Bezugsrahmen.
»Mittelgroß«, rate ich.
»Und ihre Augen?«
»Die sind braun.«
»Klares Schokoladenbraun oder schwarzbraun wie die dunklen Winkel der Seele?«
Ich zucke die Schultern. »Ein warmes Braun, wie Honig. Und ihr Mund …«
»Etwa so?«
Rapscullio zeigt mir einen winzigen Bogen, der geschürzte Lippen darstellen soll, aber die ähneln denen von Delilah überhaupt nicht. Ihre Mundwinkel sind ständig leicht nach oben gezogen, als würde sie gleich lächeln, wodurch es stets den Anschein hat, als wollte sie mir etwas ganz Tolles erzählen, auch wenn sie nur hallo sagt.
Auf diese Weise fahren wir fort, bis die nächste Ladung Kekse verkohlt ist – ich mache Vorschläge, korrigiere und optimiere Rapscullios Porträt. »Mach schnell«, sage ich. Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben, bevor Delilah das Buch wieder aufschlägt, sodass die ganze Arbeit umsonst war.
»Genie braucht Zeit«, entgegnet Rapscullio. Aber schließlich dreht er mir den Block zu, damit ich es sehen kann. Und tatsächlich blickt mir Delilah entgegen.
»Ja«, sage ich
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