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Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)

Titel: Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult , Samantha van Leer
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sieht diese Ausgabe von Jessamyn Jacobs nicht halb so glamourös aus. Sie ist gekleidet wie … na ja, wie ein Hausmütterchen.
    »Ich, ähm, ich heiße Delilah McPhee und ich bin Schülerin«, stammle ich. »Ich mache eine Projektarbeit über Autoren und wollte fragen, ob Sie mir ein Interview geben würden.«
    Sie lächelt ein wenig traurig. »Ich bin schon lange keine Autorin mehr«, sagt sie. »Wahrscheinlich solltest du besser mit jemand anderem sprechen.«
    »Nein!«, schreie ich. »Ich will unbedingt Sie!«
    Sie blickt mich an, ein wenig erschrocken über meinen Ausbruch. »Ich fürchte, ich kann dir nicht helfen, Delilah. Dieser Teil meines Lebens ist abgeschlossen.« Sie geht zur Tür und achtet dabei darauf, ausreichend Abstand zu mir zu halten.
    Ich kann es unmöglich darauf beruhen lassen. Jetzt, wo ich so kurz vor dem Ziel stehe.
    »Bitte«, bettle ich. »Ihr Buch bedeutet mir so viel.« Ich greife in meinen Rucksack und ziehe das Märchen heraus, woraufhin Jessamyn Jacobs zu meiner Überraschung stehen bleibt.
    Sie streckt die Hand aus und streicht über den Einband, als wäre das Buch etwas ganz Kostbares. »Mir hat es auch viel bedeutet«, flüstert sie. Dann lächelt sie mich an. »Möchtest du hereinkommen?«
    »Die Leute, von denen ich noch Fanpost bekomme, sind meist viel älter als du und sammeln Kettensägen und Folterinstrumente«, sagt Jessamyn, während sie einen Teller Kekse auf den Tisch stellt. »Ich bin den Menschen hauptsächlich wegen meiner Kriminalromane im Gedächtnis geblieben. Kaum einer meiner Leser weiß überhaupt, dass ich ein Märchen geschrieben habe.«

    Ihr Blick ruht auf dem Buch, das auf dem Tisch liegt. »Es ist mein Lieblingsbuch«, erzähle ich. »Ich kenne jedes Wort auswendig.«
    Jessamyn lächelt. »Es war ein Unikat«, sagt sie. »Und versehentlich ist es in einer Kiste mit Spielsachen und Kleidern gelandet, die ich für einen Wohltätigkeitsflohmarkt gespendet habe. Ich habe mich immer gefragt, was aus dem Buch geworden ist.«
    Hinter ihr stehen die Bücherregale, die Oliver bei seinem Blick in die Zukunft gesehen hatte, und auch der Kamin ist da. Seltsam, das alles wiederzusehen – wirklich und wahrhaftig – und zu wissen, dass Oliver immer noch nicht hier ist.
    Die Aussicht aus dem großen Panoramafenster fesselt meinen Blick. Ich bin fast hundertprozentig sicher, sie zu kennen, aber wie kann das bloß sein? Ich bin noch nie zuvor hier gewesen. Dann fällt es mir ein – Seite 59. Als Oliver mit Rapscullio kämpft und ihn aus dem Turmfenster stößt. Das hier ist die Vorlage für die Illustration der Szene, wenn der Schurke auf die darunterliegenden Felsen stürzt.
    Jessamyns Augen folgen meinem Blick. »Seite 59«, bestätigt sie. »Beim Malen der Illustrationen habe ich mich von Orten inspirieren lassen, die ich kenne. Der Bankettsaal im Schloss ist eine originalgetreue Kopie des Saals, in dem ich meine Hochzeit gefeiert habe. Am Ewigkeitsstrand sieht es aus wie auf der Insel, auf der ich die Flitterwochen verbrachte.« Sie starrt auf ihren Schoß. »Ich habe die Geschichte geschrieben, nachdem mein Mann an Krebs gestorben war. Er hat ein Jahr lang gekämpft, aber schließlich den Kampf verloren. Das Märchen war meine Art, damit zurechtzukommen. Und meinem Sohn zu helfen, damit zurechtzukommen.«
    Plötzlich fühle ich mich unbehaglich. So viel das Buch mir auch bedeutet, Jessamyn bedeutet es ungleich mehr. »Tut mir wirklich leid«, sage ich.
    »Schon gut. Das ist sehr lange her. Und es ist der Grund, warum es für mich irgendwie auch eine Erleichterung war, das Buch nicht mehr im Haus zu haben. So, als wäre damit jener Teil meines Lebens – der traurige Teil – zu Ende.« Sie greift nach dem Buch. »Ich habe es lange nicht mehr gelesen«, sagt sie und schlägt es auf Seite 43 auf.
    Oliver blickt hoch, er erwartet mich als Leserin. Doch dann bemerkt er Jessamyn. Seine Augen werden kugelrund – er erkennt sie als die Frau aus seinem Blick in die Zukunft.
    Jessamyn streicht mit dem Finger über Olivers Haarschopf. Ich spüre einen richtigen Schmerz im Bauch bei der Erinnerung daran, wie seine Haare sich anfühlen, wie kräftig sie sind. »Erstaunlich«, flüstert sie. »Er sieht genauso aus, wie ich ihn mir vorgestellt habe.«
    Das verstehe ich nicht – schließlich ist sie diejenige gewesen, die Oliver gezeichnet hat. Da muss er doch aussehen, wie sie ihn sich vorgestellt hat.
    Jessamyn blickt mich an. »Du bist nicht wirklich wegen eines

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