Mein Herz zwischen den Zeilen (German Edition)
Interviews für ein Schulprojekt hier.« Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Nein«, gebe ich zu und hole tief Luft. »Ich bin gekommen, um Sie zu fragen, ob Sie je in Betracht gezogen haben, den Schluss zu ändern.«
Sie lächelt schwach. »Schreibst du selbst, Delilah?«, fragt sie.
»Nein, ich lese lieber.«
»Aha«, erwidert Jessamyn. »Dann kannst du es nicht verstehen.«
»Was denn?«
»Dass es gar nicht mehr in meiner Macht steht, die Geschichte zu ändern. Anfangs hat sie vielleicht mir gehört, aber jetzt gehört sie dir. Und jedem anderen, der sie je gelesen hat. Lesen ist Teamarbeit. Der Autor baut das Haus, aber der Leser macht ein Zuhause daraus.«
»Aber da Sie es geschaffen haben, können Sie es doch auch ändern.«
»Warum sollte es denn geändert werden?«
»Weil«, sage ich, »das kein Happy End ist. Ich kann nicht erklären, warum.«
»Wetten, dass doch?«
»Eine der Figuren hat es mir erzählt.« Ich schließe die Augen, überzeugt, dass Jessamyn Jacobs mich jetzt garantiert für verrückt hält. Doch zu meiner Überraschung nickt sie nur, als ich die Augen wieder aufschlage.
»Mit mir haben die Figuren auch immer gesprochen«, erklärt Jessamyn. »Ich denke, jeder Schriftsteller würde das bestätigen. Aber Delilah, selbst wenn ich das Ende ändern würde, so existiert die Geschichte doch bereits in der Erinnerungswelt all ihrer Leser. Sobald eine Geschichte einmal jemandem erzählt wurde, kann man sie nicht mehr aus der Welt schaffen.«
Sie erklärt mir gerade, dass ich in einer Sackgasse gelandet bin. Und das darf einfach nicht wahr sein. »Aber Sie müssen es versuchen!«, bricht es aus mir heraus.
Sie zögert. »Wie hättest denn du das Buch enden lassen?«
Verlegen murmle ich: »Oliver verlässt die Geschichte.«
Sie hebt die Augenbrauen. »Oh, ich glaube, jetzt verstehe ich. Er sieht wirklich ziemlich gut aus. Ich habe auch immer wieder für Figuren geschwärmt. In meiner Krimireihe gab es einen Detektiv, der so ein verträumtes Lächeln hatte …«
Tränen schießen mir in die Augen. »Das ist keine Schwärmerei«, sage ich. »Er lebt, für mich jedenfalls.«
»Und das wird immer so bleiben«, sagt Jessamyn freundlich. »Jedes Mal, wenn du das Buch aufschlägst. Das ist ja das Schöne am Lesen, oder?«
Wenn ich es nicht einmal der Autorin begreiflich machen kann, dann bin ich mit meinem Latein wirklich am Ende. Ich bin sicher, dass sie mich für bekloppt hält – ein übergeschnapptes Mädchen, das unangemeldet vor ihrer Tür steht und über eine fiktive Figur spricht, als würde sie mit am Tisch sitzen.
Aber wie soll ich das Oliver beibringen?
Plötzlich ist mir einfach alles zu viel. Ich hatte geglaubt, wenn überhaupt jemand verstehen würde, was ich für diese Geschichte empfinde, dann wäre es die Autorin selbst, und nun erzählt sie mir wie alle anderen auch, dass ich falsch liege. Dass das, was zwischen mir und Oliver abläuft, unmöglich ist.
Ich breche in Schluchzen aus und stehe auf. Verlegen, wie ich bin, will ich plötzlich nur noch weg hier. Wie dumm von mir zu glauben, dass es im realen Leben ein Happy End geben könnte.
»Delilah! Alles in Ordnung?« Besorgt (wer wäre das nicht, wenn ein verrücktes Mädchen im eigenen Wohnzimmer hysterisch wird?) legt Jessamyn mir eine Hand auf den Arm. »Soll ich jemanden anrufen? Deine Mutter vielleicht?«
Daraufhin muss ich noch mehr weinen, weil mir einfällt, dass meine Mom inzwischen wahrscheinlich außer sich ist vor Sorge. Während der Autofahrt hatte ich die Nachrichten auf meinem Handy abgehört, aber bei der dreiundzwanzigsten aufgehört.
Jessamyn führt mich zu einer Couch. »Ich hole dir ein Glas Wasser«, sagt sie. »Und dann überlegen wir, was jetzt zu tun ist.«
Sie verlässt das Zimmer und ich atme tief durch, um mich so weit zu beruhigen, dass ich wenigstens das Buch aufschlagen und Oliver sagen kann, dass es vorbei ist.
Ich höre Schritte und blicke auf, aber es ist nicht Jessamyn, die aus der Küche zurückkommt. Stattdessen steht Oliver im Türrahmen.
Zunächst glaube ich, ich hätte Halluzinationen. Doch dann sieht er mich an. Diese Augen würde ich überall erkennen. »Hallo«, sagt er.
Ich springe auf und schließe ihn in die Arme. »Oliver! Wo kommst du denn jetzt her?«
Mit einem Blick, als hätte er mich noch nie gesehen, stößt er mich zurück. »Von der Treppe«, antwortet er. »Und ich heiße Edgar.«
Mir fällt die Kinnlade herunter. Genau in diesem Moment
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