Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
der KJS-Akte: das Geheimnis der Winkel
Die Schüler der Kinder- und Jugendsportschule (KJS) in Klingenthal wurden immer wieder damit konfrontiert, dass die Sprungweite im Skispringen von drei »leistungsbestimmenden biomechanischen Faktoren« abhängt: der Anfahrtsgeschwindigkeit, der Absprunggeschwindigkeit und der aerodynamischen Flugqualität. Aber wie beeinflusst die Haltung im Flug die Luftkraftkomponenten Auftrieb und Widerstand?
Die besten Sprünge zeichnen sich in der Regel durch eine große Körpervorlage mit großem Skianstellwinkel, also einem großen Winkel zwischen Skiern und Flugbahn, aus. Sportwissenschaftler des Leipziger Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) haben schon in den 70er-Jahren in einem Windkanal in Dresden-Klotzsche den Einfluss auf die Größe der Luftkraft getestet, die idealen Anströmwinkel des Ober- und Unterkörpers, der Ski und die Größe der Körpervorlage vermessen. Dieses Wissen sollten die Trainer in ihrem Trainingsalltag mit ihren Schülern umsetzen. Damals gab es ja noch keine Videoaufnahmen. Die Trainer haben also unsere Sprünge fotografiert und, um sich ein Bild zu machen, die jeweiligen Winkel mit Bleistift eingezeichnet und vermessen. Auf diese Weise konnten sie dann die Qualität eines Sprungs mit einem sogenannten Technikleitbild vergleichen und konkrete Tipps für nötige Korrekturen geben. In der KJS wurde von jedem Schüler alles dokumentiert und in Akten abgelegt – wie hier mein Sprung am 15. Dezember 1989 (»neuer Schanzenrekord«). Rechts: Auf Millimeterpapier wurden alle meine Trainingseinheiten in den KJS-Jahren als Statistik dargestellt.
Lückenlose Dokumentation: Jeder Sprung und jede Trainingseinheit wurden akribisch ausgewertet.
»System der gegenseitigen Kontrolle«
Begleitendes Krafttraining wurde während der KJS-Jahre eher vorsichtig dosiert. Da musste man aufpassen, wir befanden uns schließlich noch im Wachstum. Sprungkrafttraining hingegen war eine wichtige Komponente für uns Skispringer. Es stand alle zwei Tage auf dem Trainingsplan. In der Halle wurden dafür Kästen oder Hürden aufgebaut. Regelmäßig mussten wir auf die Kästen springen oder über die Hürden. Oder die bekannten Bocksprünge absolvieren, gehockt oder als Grätsche. Es ging darum, die Koordination zu schulen. Auch beim Bodenturnen. Vorwärtssalto, Rückwartssalto – so etwas beherrschten wir alle. Ein gutes Körpergefühl zu entwickeln, die Körperbeherrschung zu verbessern – darauf wurde beim Training immer größter Wert gelegt. Die Nervenbahnen sollten bis zu den Zehen sensibilisiert sein, und nicht nur bis zu den Knien, hieß es.
Jeder gab sein Bestes. Für Blödsinn jedenfalls blieb kein Platz im Kopf. Wir hielten uns freiwillig schön an die Spielregeln der KJS. Das war auch vernünftig, denn es gab ständig irgendwelche Leistungskontrollen: Sommerleistungskontrolle, Herbstleistungs-kontrolle und in den Wintermonaten die Bezirksspartakiade, die zentrale Spartakiade, die DDR-Schülermeisterschaften.
»Wie erwachsene Spitzenathleten«, schreibt Grit Hartmann in ihrem Buch »Goldkinder«, seien KJS-Schüler bereits »in ein System der gegenseitigen Reglementierung und Kontrolle eingebunden. Der KJS-Schüler rechtfertigt sich in der Trainingsgruppe, der Trainer im Trainerkollektiv und vor dem Cheftrainer, der wiederum ist in den Hauptamtlichen im jeweiligen Verbandsbüro verantwortlich und das dem DTSB-Sekretariat.«
Süße Belohnungen
Trotzdem hat mir das Training Spaß gemacht. Mein Körper konnte die Belastungen auch sehr gut wegstecken. Selbst am Wochenende, wenn ich endlich daheim in Johanngeorgenstadt war, trainierte ich freiwillig. Oftmals wurde mein Papa mein Trainingspartner und ist mit mir mitgelaufen. Er kam dann immer mit einem hochroten Kopf nach Hause. Beim Radfahren war es einfacher für ihn. Er war handwerklich ja unheimlich geschickt und hatte für sich und mich schicke Rennräder gebaut, beide mit weißem Rahmen. Damit wir die unterscheiden konnten, hatte mein Rahmen ein paar blaue Streifen, seiner grüne. Manchmal stieg Papa auch aufs Rennrad, um mich beim Training zu begleiten. Meine Standardtrainingsstrecke hatte es wirklich in sich, fast alles Kopfsteinpflaster. Es ging von Johanngeorgenstadt über Steinbach, Oberwildenthal, Wildenthal bis nach Carlsfeld. Und dann die knapp 20 Kilometer wieder zurück. Da waren unterwegs wirklich ein paar heftige Steigungen drin.
Mein Papa begleitete mich, wann immer es ging, auch
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