Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
überrumpelt. Rückblickend meinte sie mal: »Nein, ich wär damals nicht weg.« Weil sie doch ihre Mutter und ihre Geschwister nicht im Stich lassen wollte. Aber Papa setzte sich durch. Seine Entscheidung brachte die Lebensläufe von uns allen total durcheinander. Besonders meinen.
Im August 1990 zogen meine Mama und meine Schwester Jeannette, die wenigstens noch die 3. Schulklasse in Johanngeorgenstadt beenden durfte, meinem Papa hinterher. Die drei bezogen in Burgau zunächst drei Zimmer in einem alten Bauernhaus.
»Der beste Weg, einen Freund zu haben, ist der, selbst einer zu sein.« Ralph Waldo Emerson, amerikanischer Philosoph
Großer Wandel nach der Wende
Aber wie sollte es mit mir weitergehen? Ich war noch keine 16 Jahre alt, besuchte mit Erfolg die Kinder- und Jugendsportschule in Klingenthal und profitierte von der hervorragenden Ausbildung – ich war ein vielversprechendes Rädchen im DDR-Leistungssportsystem, zweite Förderstufe.
Würde ich überhaupt noch, wie immer geplant, die dritte Förderstufe der vorgezeichneten Karriere als Leistungssportler und Staatsamateur in einem der Sportclubs absolvieren können?
In den turbulenten Monaten nach der Wende änderte sich für uns im Osten viel – eigentlich fast alles. Bislang war der DDR-Sport im Vergleich zur Organisation in der Bundesrepublik personell ja deutlich stärker ausgestattet, wir hatten ideale Trainingsbedingungen. Nach dem Mauerfall mussten die Strukturen angepasst werden. Überall wurde Personal eingespart. Der Deutsche Turn- und Sportbund (DTSB), die Massenorganisation des DDR-Sports, wurde aufgelöst. Die ehemaligen Kinder- und Jugendsportschulen wurden zu Gesamtschulen oder Gymnasien mit sportlichem Schwerpunkt umstrukturiert und weitergeführt. Teilweise gab es in einer Jahrgangsstufe nur noch eine einzige Sportklasse, die mit »normalen« Schülern aufgefüllt werden musste, da notwendige Mindestklassenstärken nicht mehr erreicht wurden.
Immerhin konnten sich 21 ehemalige Kinder- und Jugendsportschulen in Deutschlands neuer Sport- und Schullandschaft etablieren – sie heißen heute »Eliteschulen des Sports«.
In den Turbulenzen des Umbruchs
Auf jeden Fall sollte und wollte ich erst mal in der KJS in Klingenthal bleiben und die Realschule beenden. Meine Eltern wohnten jetzt nicht mehr im 30 Kilometer entfernten Johanngeorgenstadt, sondern fast 400 Kilometer weit weg, in der Nähe von Augsburg. Von meinem einigermaßen geordneten Leben war nicht mehr viel geblieben.
Und dann musste ich auch noch aus der KJS ausziehen. Ich bezog ein Zimmer im Leistungszentrum des Sportclubs Dynamo, außerhalb von Klingenthal. Am Wochenende wohnte ich bei der Familie meiner Tante Monika Müller in Johanngeorgenstadt. Die Müllers waren inzwischen in die Wohnung meiner Eltern, eine Etage tiefer, umgezogen, in der Papa das Bad schön gefliest und die Wohnzimmerdecke mit Holz vertäfelt hatte. Ich konnte also weiterhin in meinem alten Zimmer bleiben, musste es aber jetzt mit meinem Cousin Ronny teilen. Tante Monika machte meine Wäsche und kochte für mich mit.
So ging das bis zum Juni 1991 – dann war ich endlich mit der Schule fertig. Ich hatte den Realschulabschluss. Und jetzt? Zu den Eltern ziehen? Mein Papa wollte nicht, dass ich in Burgau versauerte. Und natürlich wollte ich meine Karriere als Skispringer fortsetzen. Also suchten wir im Westen nach einem neuen Wintersportinternat für mich.
Erste Adresse wäre das renommierte »Skigymnasium« in Berchtesgaden gewesen, die Christopherusschule mit ihrem Sportförderkonzept. Träger: der Verein Christliches Jugenddorfwerk Deutschlands (CDJ). Weil dort aber monatlich 2000 Mark Schulgeld fällig gewesen wären, kam das für mich nicht infrage.
Schließlich erhielt mein Papa einen wertvollen Tipp. Der Vater von unserem Gartennachbarn Thomas Abratis meinte: »Versucht es doch mal in Furtwangen.« Dort im Schwarzwald könnte ich doch in einer Art Sportinternat wohnen, und zwar im Don-Bosco-Heim, und mit den dortigen Nachwuchssportlern trainieren. Und Clubchef Hermann Wehrle vom SC Hinterzarten beschied uns nach Anfrage gönnerhaft: »Sven kann für uns starten.«
Wie meine Eltern war ich damit also im Westen angekommen. Aber ich lebte wieder getrennt von meinen Eltern. Schon wieder. Ich war nun also erneut auf mich alleingestellt, mit meinen 16 Jahren.
Cooles Lächeln bei den deutschen Meisterschaften 1996 in Oberhof, obwohl ich nur im Mittelfeld landete. Zwei Jahre später wurde ich das
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