Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
mit Stefan Gschwendner. Ein Nordischer Kombinierer. Ein netter Kerl aus dem Badischen. Klar, es gab die eine oder andere Frage, die mir gestellt wurde. Aber keiner interessierte sich wirklich für mich oder meine Vergangenheit in der DDR. Für 16-Jährige sind eben andere Themen wichtiger. Zum Beispiel Weggehen, Discos und so. Ich war der neue Ossi auf dem Flur – und damit gut. Allerdings musste ich mir ein ums andere Mal diese blöden Ossi-Sprüche anhören, die nach der Wende überall kursierten. Etwa den: »Warum können die Ossis nicht vom Affen abstammen? Weil es Affen niemals 40 Jahre lang ohne Bananen ausgehalten hätten ...« Hahaha.
Oder den: »Was ist die Lieblingssportart der Ossis? Bobfahren. Links ’ne Mauer, rechts ’ne Mauer, und es geht immer bergab.«
Und dann natürlich diese Trabi-Witze. »Was ist der Unterschied zwischen einem Trabi und einem Kondom? Es gibt keinen. Beide behindern den Verkehr!«
Einen der vielen Witze fand ich wirklich gut. »Kommt ein Mann zur Tankstelle und sagt: ›Ich hätte gern zwei Scheibenwischblätter für meinen Trabi.‹ Darauf schaut sich der Tankwart den Trabi-Fahrer an und meint: ›Das ist ein fairer Tausch ... ‹«
Ein Freund, ein guter Freund
Manchmal, wenn die anderen mal wieder ihren Ossi-Spott über mich abluden, sprang Christian Schnabel als Verteidiger in die Bresche. Das tat sehr gut. Mit Christian, einem Langläufer, entwickelte sich eine dicke Freundschaft. Er war nicht nur von der Statur her, sondern auch als Typ ähnlich wie ich. Manche glaubten sogar, wir wären Zwillingsbrüder. Er war ein Kindskopf wie ich. Öfters lagen wir oben auf dem Dach unseres Wohnheims und erfreuten uns an einem speziellen Wettbewerb: Wer nach ein paar Stunden den schmalsten Abdruck auf dem Körper hat. Von der Sonne.
An Christian hängte ich mich ran. Donnerstags fuhren wir mit seinem flotten Golf C Diesel nach Titisee-Neustadt, in die angesagte Diskothek »Seebachklause«.
Leider trennten sich unsere Wege später. Als ich nach der Lehre schließlich in die Sportfördergruppe der Bundeswehr kam, erfüllte Christian die Voraussetzungen dafür nicht. Er hatte es als Langläufer nicht in den C-Kader geschafft. So ging er nach Mittenwald zu den Gebirgsjägern. Inzwischen arbeitet er bei Porsche. Wir sehen uns immer noch regelmäßig.
Disco-Touren liefen später auch mit Martin Schmitt, der schon gelegentlich in unsere Trainingsgruppe stieß, und seinem älteren Bruder Thorsten, einem Nordischen Kombinierer. Meist fuhren wir zusammen in einen Club namens »Erdbeermund« in die Kreisstadt Singen oder nach Balingen ins »Treffpunkt«. Manchmal hielten wir bis morgens um drei durch. Ich durfte dann bei den Schmitts in Tannheim im Gästezimmer pennen.
Ein erster Erfolg mit dem Team
Einmal, als ich wieder Sonntagnachmittag mit meinem ersten Auto, einem weißen Golf 2 mit Schweizer Grill, also einer hammergeil aufgemotzten Front mit vier viereckigen Lampen und einem Megaspoiler hinten, aus dem Familienwochenende in Burgau zurück in den Schwarzwald wollte, hatte Papa bemerkt, dass ich wohl etwas sehr nach Pfefferminz roch. Er sagte: »Sven, wir müssen mal reden. Ich weiß, dass du rauchst. Du musst wissen, was du willst. Wenn du aber ganz oben ankommen willst, dann passt das nicht.«
Trainer Wolfgang Steiert über die Stärken von Sven Hannawald
»Für Sven war Disziplin selbstverständlich«
» Als ich 1993 sein B-Kader-Trainer wurde, hatte Sven flugtechnisch schon ein gutes System drauf. Er war schlank, sein Gewicht war okay. Wir haben damals natürlich erkannt: ›Das wird bestimmt mal einer.‹ Sven war ganz anders strukturiert als die anderen in seiner Trainingsgruppe. Er kam nie zu spät. Anders als etwa Martin Schmitt. Der konnte schon mal unpünktlich sein, weil er wusste, dass uns das nervte. Für Sven war Disziplin selbstverständlich.
In der Zeit nach der Wende bekamen wir ja ein paar Jungs aus Ostdeutschland in unsere Trainingsgruppen. Die aus dem Osten waren in ihrer Art alle etwas anders als die Springer aus Bayern oder dem Schwarzwald. Besonders bei Sven machte sich dieses ›Ostdeutschen-Gen‹, wie ich es nenne, deutlich bemerkbar. Er konnte eiskalt sein und total fokussiert. Das wurde später, bei seinen ganz großen Erfolgen, sein Vorteil. Ich bin ja kein Professor für Gehirnpsychologie. Aber ich kann mir vorstellen, wenn einer wie Sven schon so früh in die Kinderkrippe kommt, macht sich der Entzug von den Eltern unbewusst bemerkbar.
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