Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
also das komplizierte Zusammenspiel von mehreren Faktoren, die mit beeinflussen, wie weit ein Sprung geht. Der allerwichtigste aber ist: die Sprungkraft des Athleten.
Die Dynamik eines Sprungs hängt vom explosionsartigen Absprung ab. Die Absprunggeschwindigkeit am Schanzentisch bestimmt maßgeblich die Höhe der Flugbahn und damit die Sprungweite. Sie basiert im Wesentlichen auf deiner Schnell- und Explosivkraft und auf der Koordination der Absprungbewegung.
Einerseits musst du dich nach oben strecken, um mit hoher Geschwindigkeit vom Schanzentisch wegzukommen, andererseits musst du den Oberkörper nach vorn schieben, um einen hohen Drehimpuls zu erreichen.
Hier sind die Leistungsunterschiede beträchtlich. Ein Meter pro Sekunde mehr Beschleunigung beim Absprung bedeutet – je nach Schanzengröße – 8 bis 12 Meter mehr Weite.
Bei dem Österreicher Martin Höllwart wurde immer die höchste Beschleunigung beim Absprung gemessen: bis zu 3,1 Meter pro Sekunde. Einer wie Martin Schmitt erreichte immerhin noch 2,8 Meter pro Sekunde. Und ich? Bei mir waren es nur lausige 2,5 Meter pro Sekunde.
Die zweite Haut, die so entscheidend ist: Mit den Jahren wurde der Stoff der Sprunganzüge immer dünner. Er hat nicht viel länger als 10 Minuten gewärmt.
Die Tests deprimierten mich immer
Zweimal im Jahr, zu Beginn einer neuen Saison (im Mai) und noch einmal im Herbst, nach monatelangem Kraft- und Konditionstraining, mussten wir zum allgemeinen Leistungstest nach Freiburg fahren. Dort, am Institut für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) der Albert-Ludwigs-Universität, wurde unser gegenwärtiges Leistungsniveau gemessen. Es ging darum, zu ermitteln, wo wir stehen und wo demzufolge das Training angepasst werden muss. Ich wusste immer schon vorher, dass ich von diesen Tests wieder deprimiert heimkommen würde, weil sie bestimmt wieder wissenschaftlich belegen: Ich bin wieder bei null und muss auf niedrigem Niveau ins Training für die neue Saison einsteigen.
Unter Strom: zweimal im Jahr zur Leistungsdiagnose
Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler, die Bewegungsabläufe beim Skisprung zu erforschen und den motorischen Ablauf des Skispringens zu optimieren. Auch die deutschen Skispringer machten sich dies zunutze: Am Institut für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) der Albert-Ludwigs-Universität (unter der Leitung von Prof. Dr. Albert Gollhofer) ließen sie in regelmäßigen Abständen (im Mai und Oktober) umfangreiche, standardisierte Untersuchungen durchführen. Getestet wurden das Kraft- und Sprungkraftniveau, die koordinativen Fähigkeiten und die Biomechanik des Absprungs sowohl im Labor als auch an der Sprungschanze. Nach der Auswertung sollte das konditionelle Vorbereitungstraining (Krafttraining) für die kommende Saison gezielt auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten werden.
Hier (rechts) stehe ich für Kraftmessungen wild verkabelt auf einer Messdruckplatte, die meinen Kraftimpuls beim simulierten Absprung aufzeichnen und dann in die physikalische Messeinheit »Newton« umrechnen wird. Schon ab Mitte der 1990er-Jahre konnten wir auch beim Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig den Windkanal nutzen. Wir hingen mit kompletter Skiausrüstung und angegurtet »frei« in der Luft und konnten den Flug unter nahezu echten Bedingungen simulieren. Das brachte mir wichtige Erkenntnisse. Jahrelang bin ich nach dem Absprung immer nach links geflogen. Im Windkanal wurde das Problem klar: Mein rechter Fuß war offensichtlich weniger beweglich. Durch die Verlängerung des Bandes, das den Skiwinkel im Flug reguliert, konnte ich das Problem lösen. Ohne Windkanal hätte es vielleicht Jahre dauern können.
Wie das Freiburger Institut für Sport und Sportwissenschaft die Skispringer analysierte
Hilfreiche Tests: Ab 2001 gab es Absprungtests im Windkanal von Audi.
Da stand ich nun also Anfang Mai 1997 wieder total verkabelt auf so einer Schnellkraftmessplatte, ging in die Anfahrtshocke und sprang aus dem Stand mit gestreckten Beinen in die Höhe, versuchte in den Absprungimpuls so viel Energie wie möglich »reinzuballern«. Ich bewegte mich auf einer Kontaktmessplatte, sprang jeweils von einem 20 Zentimeter und einem 30 Zentimeter hohen Hocker, während die Bodenkontaktzeit gemessen und vom Computer in Schnellkraft umgerechnet wurde. Und ich lag für einen Krafttest fixiert auf dem Rücken, um beim Kommando »Hopp« mit beiden Beinen gegen die zwei Platten über mir zu drücken. Und bei
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