Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
Wettkampf zu starten. Mit verheerenden Folgen. Der Russe Artur Chamidullin lag nach einem Absprungfehler deutlich zu steil in der Luft, versuchte den Skiwinkel zu korrigieren, schaffte es aber nicht. Er verlor die Kontrolle über seine Skier und fiel dann wie eine Puppe vom Himmel, schlug mit dem Kopf auf und rutschte bewusstlos den Sprunghang hinunter.
Dennoch sollte der Wettkampf fortgesetzt werden. Ein paar Springer wollten streiken. Die Österreicher Andreas Widhölzl und Martin Höllwarth, Martin Schmitt und ich unterschrieben einen Zettel, dass wir auf den Start verzichten würden. Der Wettkampf wurde abgebrochen. Hinter den Kulissen gab es heftige Diskussionen wegen der Sicherheit der Springer.
Für diese Weltmeisterschaft besaß RTL ja schon die Fernsehrechte. Als Vertragspartner des Deutschen Skiverbands (DSV) hatten die Kölner viel Geld investiert, um auch diese »coole« und »trendige« Sportart Skifliegen übertragen zu dürfen. Und natürlich sollte das spektakuläre Wochenend-Event irgendwie durchgezogen werden. Hans Mahr, der RTL-Chefredakteur, war erstmals selbst vor Ort, er stand mit Bundestrainer Reinhard Heß vor der Flugschanze und fragte scheinbar arglos: »Wo weht denn hier ein Wind? Ich sehe keinen.«
»Skifliegen hat eine absolute Grenzbelastung erreicht. Schon bei einem Probesprung muss der Athlet 100 Prozent geben. Er kann nicht wie ein Hochspringer die Latte mal tiefer legen.« Dr. Ernst Jakob, Teamarzt des DSV
Mein erster großer Titel
Die Windkapriolen gingen auch am Sonntag weiter. Wieder Abbruch, diesmal wegen mir. Weil ich eine zu große Weite (214 Meter) nicht stehen konnte und »in den Schnee greifen« musste. Mir passierte nichts, aber an meinem Ski brach die Spitze. Neustart mit verkürztem Anlauf. Dann stellte die Jury Probleme am Schanzentisch fest. Eine weitere Zwangspause. Während der einstündigen Pause hatte die Jury den abgebrochenen ersten Durchgang nachträglich zur Qualifikation erklärt. Als der erste Durchgang neu gestartet werden konnte, gelang mir der weiteste Sprung des Durchgangs, 191 Meter. Nachdem nur noch vier Springer oben waren, kehrte der böige Wind zurück. Es wurde erneut abgebrochen und die Entscheidung auf den nächsten Tag verschoben.
Am Montag herrschten endlich optimale Verhältnisse auf dem »Monster-Bakken« in Vikersund. Es wurde ein großartiger Wettkampf – und kaum einer sah zu. Die Menschen gingen an diesem Montag, als ich Weltmeister wurde, ihrer geregelten Arbeit nach.
Als Favorit wurde vorher von allen Experten der Österreicher Andreas Widhölzl gehandelt. Doch im Wettbewerb flog ich – mit ganz neuen Skiern, die bislang noch nicht getestet worden waren – in den entscheidenden Durchgängen deutlich weiter als er. Widhölzl: 180 Meter. Ich: 188 Meter. Dann der finale Durchgang. Widhölzl: 195 Meter. Ich: 196,5 Meter. Ich war an diesem Tag wie schon in diesen Wochen zuvor in Topform. Aber bestimmt trugen auch meine »Wunderski« zum Erfolg bei, die Konkurrenten nach meinem Weltmeistertitel spöttisch und voller Neid »Surfbretter« nannten.
Schlagzeile in Norwegens größter Tageszeitung »Aftenposten«
Hightech-Sport Skispringen
Im Sport ist es nicht anders als im richtigen Leben: Jeder versucht mit allen Mitteln, sich einen Vorteil zu verschaffen. Unsere Sportart hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant verändert. Die Zeiten, als die Skispringer noch Keilhosen, Pullover und Pudelmützen statt eines Helms trugen, sind lange vorbei. Skispringen ist längst eine Hightech-Sportart.
Weil beim Skispringen und besonders beim Skifliegen das Material – also die Sprungskier, ihr Belag, ihr Schliff, die Sprunganzüge – so eine immens wichtige Rolle spielen, investieren die meisten Verbände viel Grips und Geld, um möglichst einen Schritt voraus zu sein. Wie in der Formel 1.
Die Österreicher versuchten es schon mit Holzkeilen unter der Bindung, mit einer anderen Schnürung der Schuhe, einer Federung in der Sohle für einen besseren Absprung, mit einer Veränderung der Stützneigung des Schuhs. Sie testeten kleinere und größere Schuhe. Sie schnitten das Brillenband ab und klebten die Brille am Helm fest, um weniger Luftwiderstand in der Anlaufspur zu haben.
Andreas Widhölzl, der Vierschanzentournee-Sieger von 2000, gab sich wie die Rodler in der Anlaufspur mit den Händen zusätzlichen Schub, schob sich eine 5 Millimeter dicke Schaumweste unter den Anzug, um besseren Auftrieb zu bekommen, behandelte seinen Anzug mit
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