Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
sei das auch mit uns. Aber weil wir so differenzierte Wesen seien, litten wir an diesen Verwachsungen. In der Tiefe wüssten wir, wie wir seien und welche Früchte wir tragen könnten. Und wenn wir die nicht trügen, litten wir. Dieses Bewusstsein und diese ganze Abwehr, also diese Borken, die wir dagegen entwickelten, die hätten also einen Sinn. Die könnten wir nicht so einfach aufbrechen. Denn dann würde uns von innen zu viel Verletzlichkeit, zu viel Leere, zu viel Mangel überschwemmen. Deshalb müsse dieses Auflösen der Borke, also der Abwehr, ganz allmählich geschehen. Die Borke müsse von innen her spüren, dass ihre Abwehraufgaben nicht mehr nötig seien. Doch die Borke würde sich weiterhin wehren, dies sei schließlich ihre heilige Mission, und nur vorsichtig ihre Abwehr aufgeben – und dünner werden. Und irgendwann würden wir die Borke vielleicht nicht mehr brauchen, höchstens noch im Stress, wenn mal wieder ein kalter Winter käme.
Ich verstand in diesem Moment, dass der Weg aus dem Burn-out nicht auf die Schnelle möglich ist. Und dass Heilung ein Prozess ist, der Jahre dauern kann.
Der Weg aus dem Burn-out ist nicht auf die Schnelle möglich. Heilung ist ein Prozess, der Jahre dauern kann.
Einfach nur in der Sonne sitzen
In den ersten Wochen in der Klinik schlief ich viel oder saß auf dem Balkon in der Nachmittagssonne. Dazu gab es reichlich Gelegenheit, denn wir hatten ein schönes Frühjahr im Allgäu. Es war für mich eine ganz neue Erfahrung, keine Aufgaben zu haben – und dieses Gefühl: Ich darf jetzt einfach nur mal in der Sonne sitzen. Anfangs hatte ich deswegen Schuldgefühle, und Nora musste mich ein ums andere Mal dazu ermuntern, meine Drehzahl herunterzufahren und auf Standgas zu gehen. Es wurde eine ganz neue Erfahrung für mich: einfach mal nichts zu tun.
Sehr gerne spazierte ich die 15 Minuten durch den Wald, Richtung Waldcafé. Dort stand eine Bank und rechts davor ein eisernes Gottesmarterl. Hier konnte ich ein, zwei Stunden sitzen, einfach so. Bei klarem Wetter hatte ich einen fulminanten Blick auf die sanfte Hügellandschaft des Allgäus, und im Hintergrund zeichneten sich die Allgäuer Alpen ab. Mädelegabel, Grünten, Aggenstein. Und linker Hand war sogar die Zugspitze zu erkennen.
Meine Probleme mit Partnerschaft
In den ersten beiden Wochen war Besuch nicht erlaubt. Dann besuchten mich meine Eltern. Ich zeigte ihnen meinen Lieblingsplatz beim Waldcafé, und wir kehrten dort ein. Es war schön für alle.
Wie aber sollte ich mich gegenüber Suska verhalten, meiner Freundin? Sollte ich sie anrufen, wenn mir danach war? Oder sollte ich sie erst wieder nach der Therapie sehen, also in acht, neun Wochen?
Nach drei Wochen kam Suska, und sie blieb übers Wochenende. Sie schien glücklich darüber, dass es mir besser ging. Und auch mir ging es besser dadurch. Aber es löste nicht meine innere Bedrückung, ob diese Beziehung wirklich die richtige für mich ist. Für diesen Moment. Und für den kommenden Lebensabschnitt.
Nach etwa fünf Wochen kam auch der Bundestrainer zu Besuch. Wir trafen uns in einem Gasthaus in Bad Grönenbach. Wolfi Steiert wollte wissen, wie es mir geht. Und vor allem: wie ich über die Rückkehr ins Team dachte. Ich konnte mir das durchaus vorstellen, wollte aber keine konkrete Zusage machen.
Auch Werner Heinz, mein damaliger Manager, sagte mir in mehreren Telefongesprächen, dass er sich natürlich freuen würde, wenn ich meine Karriere fortsetzte. Ich solle aber nichts überstürzen. Wir sprachen auch über Suska. Ich erzählte ihm von meinem inneren Konflikt: entweder Beziehung oder sportliche Karriere.
Einerseits fand es ich schön, eine Beziehung zu haben, nicht mehr allein zu sein. Aber andererseits wurde es mir oft zu viel. Ich fürchtete, nicht zu einer ebenbürtigen Partnerschaft fähig zu sein. Ich wollte einfach keine endlosen Diskussionen und keine Heulerei. Damals hätte ich wohl eine Partnerin gebraucht, die so unkompliziert ist wie ein Buch. Wenn ich das brauche, nehme ich es mir, wenn ich es nicht mehr brauche, stelle ich es zurück ins Regal. Mein Gefühl sagte mir immer noch, dass eine Beziehung und Familie erst nach dem Sport kommt.
Ich war wohl noch zu sehr mit meinem alten Leben verhaftet. Und deshalb habe ich mit Suska einfach Schluss gemacht.
Die Trennung erleichterte mich. Aber nur kurz. Ich schlief wieder schlechter. Grübelte wieder mehr. Hatte ständig Lust auf Süßes. Verbot mir das aber.
Ein Bild aus dem Jahr
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