Mein irischer Held
„Ich habe doch nichts Böses beabsichtigt. Ich habe Fiona geliebt wie meine eigene Tochter.“
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und Bevan, der einen Becher mit Met und ein großes Stück Brot sowie eine Scheibe kalten Bratens in den Händen hielt, betrat die Kammer. Er ließ den Blick zwischen den Frauen hin und her wandern und fragte dann: „Was ist los?“
Genevieve atmete tief durch. „Siorcha muss dir etwas gestehen. Es geht um Fiona.“
„Haben wir nicht beschlossen, die Vergangenheit ruhen zu lassen?“
„Das ist in diesem Fall leider nicht möglich.“ Jetzt begann Genevieve zu weinen.
Bevan stellte alles, was er mitgebracht hatte, auf dem Tisch ab und eilte zu ihr. Sanft wischte er ihr die Tränen von den Wan gen. Dass er sie trösten wollte, machte es ihr nur noch schwerer, ihm die Wahrheit mitzuteilen. „Siorcha?“, meinte sie bittend.
Die alte Frau trat mit gesenktem Kopf vor. „Ich werde Euch alles über die Geschehnisse an Fionas … Todestag berichten.“
„Ja?“ Sein Herz schlug heftig, aber er bemühte sich, gelassen zu erscheinen, obwohl eine böse Vorahnung von ihm Besitz ergriffen hatte. Er musste sich eingestehen, dass er Angst hatte.
„Ich habe Fiona schon gekannt, als sie noch ein kleines Kind war. In der Pflegefamilie, in der sie eine Zeit lang lebte, war ich als Kinderfrau beschäftigt. Ich zog sie zusammen mit meiner eigenen Tochter auf und habe sie genauso geliebt wie mein eigenes Kind. Das änderte sich auch später nicht, obwohl wir uns nicht mehr so oft sahen. Dann hat sie Euch geheiratet und wir waren wieder öfter zusammen. Dadurch bemerkte ich, dass sie unglücklich war. Sie liebte Brianna, und es gefiel ihr, Herrin von Rionallís zu sein, doch das war nicht genug, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Sie war ruhelos. Wenn Ihr fort wart, wanderte sie oft Stunde um Stunde und Tag für Tag über die Wiesen und durch die Wälder.“
Bevan nickte. Er hatte Gerüchte über Fionas häufige Abwesenheit von Rionallís gehört. Und er hatte gefühlt, dass sie nicht glücklich an seiner Seite war. Dennoch hatte er versucht, dieses Wissen einfach zu ignorieren.
„Auf einer ihrer Wanderungen lernte sie einen Mann kennen. Von da an traf sie sich mit ihm, wann immer es ihr möglich war. Eines Tages gestand sie mir, dass sie ihn liebte.“
Ein heftiger Schmerz durchzuckte Bevan. Er musste ein Stöhnen unterdrücken. Hatte er Fiona nicht alles gegeben? Hatte er ihr nicht jeden Wunsch von den Augen abgelesen? Trotzdem hatte sie ihn betrogen. Die Erkenntnis tat weh. Aber sie machte ihn auch zornig.
„Der Mann war ein Normanne. Später erfuhr ich, dass er Raymond Graham hieß.“
„Der Baron of Somerton?“, stieß Bevan hervor. Er war jetzt so wütend, dass er nicht mehr klar denken konnte. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte alles um sich herum kurz und klein geschlagen. Aber irgendwer – es musste wohl Genevieve sein – hielt seine Hand fest.
„Lange nachdem sie Somerton zum ersten Mal getroffen hatte, berichtete mir Fiona, wie alles sich abgespielt hatte“, fuhr Siorcha fort. „Er und seine Soldaten hatten ihr Lager am Fluss aufgeschlagen. Der Baron hatte wohl etwas Ruhe gesucht und war dabei im Wald auf Fiona gestoßen. Sie waren vom ersten Moment an fasziniert voneinander.“
Genevieve hielt noch immer Bevans Finger umklammert. Sie betrachtete seine gequälte Miene voller Mitleid. Er hatte Fiona angebetet, und sie hatte ihn hintergangen. Es musste ein schreckliches Gefühl sein …
„In dem Jahr, als Strongbow mit seiner Armee hier in der Gegend wütete, bat Somerton Fiona, die Gelegenheit zu nutzen, um mit ihm durchzubrennen. Am liebsten hätte er Euch getötet. Aber davon wollte Fiona nichts hören. Ich bin sicher, sie hat Euch geliebt, wenn auch nicht auf die gleiche leidenschaftliche Art wie Somerton. Sie wollte ihr Leben an seiner Seite verbringen, auch wenn es eine Sünde war. Aber sie wollte nicht, dass man Euch ein Leid zufügte.“
Bevan hatte sich inzwischen so weit beruhigt, dass er wieder denken und auch sprechen konnte. „Ich habe gehört, wie sie um Hilfe geschrien hat“, wandte er ein. „Sie ist nicht freiwillig gegangen. Sie ist von den Normannen verfolgt, in die Enge getrieben und in der Kate, in die sie sich geflüchtet hatte, verbrannt worden. Ich selbst habe sie begraben.“
„Ihr habt nicht Fiona, sondern ihre Zofe Nuala beerdigt. Sie hatte zuvor die Kleider mit ihrer Herrin getauscht und auch deren Schmuck angelegt.
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