Mein irischer Held
unter Waffen hat. Jeder meiner Leute ist bereit, gegen eine Übermacht anzutreten. Jeder würde sein Leben opfern. Es sind gute Männer. Aber es wäre falsch, sie für eine Sache in den Tod zu schicken, die einerseits zu einer Gefährdung der Burg führt und bei der es andererseits keine Aussicht auf Erfolg gibt.“
„Heißt das, Ihr weigert Euch, nach meiner Verlobten zu suchen?“ Hugh schäumte vor Wut. „Ich werde nicht zulassen, dass sie in der Gewalt der Iren bleibt.“
„Ich habe da einen Gefangenen, der Euch interessieren könnte“, stellte Staunton ungerührt fest. „Wollt Ihr mir vielleicht in den Kerker folgen?“
Marstowe nickte widerwillig. Er verabscheute den Geruch, der in den Kellergewölben der Burg hing, und ihn ekelte vor all dem Unrat, der dort herumlag. Doch als er sah, wie voll die große Zelle war, wie viele von MacEgans Leuten sich in seiner Gewalt befanden, hellte seine Stimmung sich auf.
„Mir geht es um diesen Gefangenen.“ Staunton zeigte auf – eine Frau.
„Wo habt Ihr sie gefunden?“, fragte Hugh und musterte die Irin. Sie hatte ein kantiges Gesicht und wilde schwarze Locken. Ihr Körper war mager, ihre Kleidung schmutzig.
„Sie hatte versucht, sich unter unsere Mägde zu mischen. Zweifellos war es ihre Absicht, den Gefangenen bei der Flucht zu helfen. Ich habe sie einsperren lassen, weil ich dachte, sie könnte nützlich für uns sein.“
Hugh runzelte die Stirn. Ihm war nicht klar, welche Vorteile sich durch das Aufgreifen der Frau für ihn ergeben sollten.
Staunton zog ein Messer, trat auf die Gefangene zu und hielt es ihr an die Kehle. „Am einfachsten wäre es natürlich, sie umzubringen“, sagte er.
Die Frau war blass geworden, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Es war einer der anderen Gefangenen, der plötzlich rief: „Wartet!“
„Wie heißt Ihr?“, wollte Hugh wissen. Er musterte den Mann nachdenklich. Wie ein Krieger sah er mit seinen schmalen Schultern und dem wirren roten Haar eigentlich nicht aus.
„Lasst sie in Ruhe!“ Der Ire spuckte vor Hugh aus.
Dieser wollte aufbrausen. Doch dann erkannte er die hinter der wütenden Miene verborgene Verzweifelung. Gut! Verzweiflung machte einen Mann schwach.
Jetzt sagte die Frau etwas auf Gälisch. Doch keiner der Gefangenen reagierte darauf. Hugh trat auf Staunton zu, nahm ihm das Messer aus der Hand, griff der Frau in die Locken und schnitt mit einer einzigen Bewegung eine lange, schwarze Strähne ab. Dann wandte er sich dem schmalen Rothaarigen zu. „Es wäre klüger, wenn Ihr meine Fragen beantworten würdet.“
Der Mann zögerte.
In diesem Augenblick wusste Hugh, dass er gewonnen hatte. „Als Nächstes werde ich ihr einen Finger abschneiden“, verkündete er. Und schon umfasste er mit festem Griff das Handgelenk der Gefangenen. „Also?“
Der Rothaarige schwieg.
Die Frau stöhnte auf, als Hugh den Druck seiner Finger verstärkte.
Der Mann stieß einen gälischen Fluch aus und wechselte dann ins Englische. „Was wollt Ihr wissen?“
„Ihr kennt Bevan MacEgan?“
„Ja. Und jetzt lasst die Frau los.“
Staunton beugte sich zu Hugh hinüber und sagte leise: „Solange wir die Frau haben, können wir ihn als Spion benutzen. Wir sollten ihn unter der Bedingung freilassen, dass er uns mit Informationen über MacEgans Pläne versorgt.“
„Ihr glaubt, dass er seine eigenen Leute verraten wird?“
„Ja. Er weiß, dass wir andernfalls nicht zögern werden, die Frau zu foltern oder gar zu töten. Und diesen Gedanken kann er nicht ertragen.“
Hugh grinste. „Gut.“
Die Strecke von Ennisleigh nach Laochre ließ sich, sobald man das Festland erreicht hatte, in kaum mehr als einer Stunde zurücklegen. Genevieve war dennoch ängstlich. Immer wieder schaute sie sich forschend um, hielt nach möglichen Verfolgern Ausschau und vermutete hinter jedem Gebüsch einen Trupp von Hughs Männern. Sie kam sich zwar albern dabei vor, aber ihre Furcht vor Marstowe war so groß, dass es ihr unmöglich war, sich sicher zu fühlen. Immerhin wurde sie nur von Ewan und Bevan begleitet.
MacEgan hatte seinem jüngsten Bruder befohlen, vorauszureiten, um mögliche Feinde rechtzeitig ausfindig zu machen. Tatsächlich, vermutete Genevieve, ging es dem älteren Bruder in erster Linie darum, den Jungen, der einfach seinen Mund nicht still halten konnte, mit etwas zu beschäftigen. Auf der Überfahrt hatte Ewan jedenfalls wie ein Wasserfall geredet.
Jetzt hatten sie ihn schon seit einer Weile nicht mehr gesehen.
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