Mein irischer Held
Ewans Stimme. Offenbar sprach er mit Bevan. Ihr Herzschlag beschleunigte sich – und langsam drehte sie sich um.
Bevan betrachtete die Wandteppiche. Sein Gesicht wirkte entspannt, und sein Blick wanderte zu Genevieve. Ein kleines Lächeln umspielte seinen Mund. In diesem Moment wusste sie, dass er ihr verziehen hatte.
„Ich habe alle eingeladen, heute Abend mit uns ein verspätetes Weihnachtsfest zu feiern“, sagte Genevieve, als ihr Gemahl zu ihr trat. „Die Pächter und ihre Familien werden erwarten, dass Ihr an der Feier teilnehmt.“
Er lächelte noch immer. „Selbstverständlich werde ich da sein.“ Nachdem er dem Treiben im Saal eine Weile zugeschaut hatte, verabschiedete er sich mit einem freundlichen Nicken.
Kurz darauf trat ein Bediensteter zu Genevieve, um ihr ein mit einem Siegel verschlossenes Päckchen zu überreichen.
„Hast du den Boten in die Küche geschickt, damit er sich aufwärmen kann und etwas zu essen und zu trinken bekommt?“, vergewisserte sie sich.
„Er ist gar nicht erst bis zur Burg gekommen, Mylady. Er soll es sehr eilig gehabt haben. Das Päckchen hat er einem der Kinder aus dem Dorf gegeben, und dieser Junge hat es eben gebracht.“
Das war äußerst seltsam, insbesondere in Anbetracht des Wetters. Voll unguter Vorahnungen erbrach Genevieve das Siegel.
Ewan war zu ihr getreten und betrachtete nun, genau wie sie, das blaue Seidenband. Etwas anderes hatte das Päckchen nicht enthalten.
„Es ist von Hugh“, sagte Genevieve leise.
Unwillkürlich griff Ewan zu seinem Messer. „Eine Drohung?“
„Nein“, sagte sie, obwohl sie es besser wusste. „Er würde es nicht wagen, die Herrin von Rionallís zu bedrohen.“
Ewan runzelte die Stirn. „Auf jeden Fall sollte Bevan davon erfahren.“
„Bitte nicht.“ Genevieve wollte vermeiden, dass ihr Gemahl sich in Gefahr begab, um herauszufinden, wo Hugh sich aufhielt und was er vorhatte.
„Dann werde ich selbst mich darum kümmern.“ Ewan straffte die Schultern.
„Vergiss es einfach. Es hat wirklich nichts zu bedeuten. Und jetzt wollen wir erst einmal feiern.“
11. KAPITEL
Die Gäste waren bester Stimmung. Sie genossen, was die Küche von Rionallís zu bieten hatte, tranken Ale, warmen Met und Holunderbeerwein, freuten sich an der Musik und unterhielten sich angeregt. Dann, als alle gesättigt waren, versammelten sie sich um Trahern MacEgan, den besten Geschichtenerzähler weit und breit.
Trahern war klein und kräftig, ein knorriger Mann, wie manche sagten, aber mit einer Stimme, die Jung und Alt gleichermaßen in ihren Bann zog. Er trug sein dunkles Haar offen und schien stolz auf seinen dichten Bart und seinen ausladenden Brustkorb zu sein. Tatsächlich hatte er alle Frauen aufgefordert, ihn in den Arm zu nehmen, um festzustellen, ob auch nur eine in der Lage war, ihn an sich zu drücken. Lachend war man seiner Aufforderung gefolgt. Nur Genevieve hatte sich zuerst geschämt. Doch auf Ewans Drängen hin hatte auch sie versucht, die Arme um Trahern zu legen. Vergeblich, er war einfach zu breit.
Bevan selbst hatte Trahern eingeladen, sobald er erfuhr, dass der Geschichtenerzähler von seiner Wanderung durch Irland nach Laochre zurückgekehrt war. Und dann hatte er ihn Genevieve als seinen Bruder vorgestellt.
„Noch ein Bruder?“, hatte die sich gewundert. „Wie viele seid Ihr eigentlich?“
„Jetzt nur noch fünf. Uilliam, der älteste von uns, ist im Kampf gefallen. Daraufhin wurde Patrick unser König. Ihm sowie Connor und Ewan bist du ja schon begegnet. Und nun kennst du auch Trahern.“
„Sechs Söhne“, hatte sie bewundernd festgestellt. „Euer Vater muss sehr stolz auf seine Nachkommen gewesen sein. Habt Ihr auch Schwestern?“
„Nein. Meine Mutter hat sich immer eine Tochter gewünscht, aber Gottes Pläne sahen anders aus. Und wie ist es bei Euch? Habt Ihr Geschwister?“
„Zwei Brüder, James und Michael.“ Sie trank einen Schluck Met. „Michael hält sich seit einiger Zeit in Schottland auf. Und das ist gut so. Er verfügt über ein aufbrausendes Temperament. Wenn er erfahren hätte, wie Hugh mich behandelt …“ Eigentlich hatte sie nicht von ihrem früheren Verlobten sprechen wollen. Doch Bevan griff das Thema sogleich auf.
„Ich glaube, ich würde Euren Bruder mögen. Wenn es um Marstowe geht, habe ich auch ein ungezügeltes Temperament. Warum habt Ihr Euch für ihn entschieden? Ihr hattet doch bestimmt noch andere Verehrer?“
Während er sprach, schaute Bevan sie so intensiv an,
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