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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Byrne’s Pub«.
    Man kann hier drinnen kaum das eigene Wort verstehen, denn gegenüber ist die Hölle los - da wird ein Gebäude abgerissen, um
    Platz zu machen für einen modernen Einkaufstempel der Firma Marks & Spencer. Es ist weit nach acht Uhr abends, aber die Abbruchbirne ist immer noch im Gang. Staubschwaden nebeln die Straße ein, und über allem thront ein langhalsiger Kran.
    Dann kommt Ralf Sotschek, 1954 in Berlin geboren, Brille, freundlich, vom ersten Blick an gewinnend, seit 1985 in der Hauptstadt, verheiratet mit einer Dublinerin, Vater zweier Kinder. Ich hatte schon von Deutschland aus Verbindung mit ihm aufgenommen, kannte ihn aus Merian-Heften, und weiß, wen ich da vor mir habe -den Experten für Irland, das »andere«, nördliche, eingeschlossen.
    Neben mir im »Davy Byrne’s« sitzt ein Multipublizist, der Irland- und Großbritannien-Korrespondent der Berliner »tages-zeitung« (»taz«), Autor zahlreicher Bücher über Dublin, Belfast, den Konflikt im Norden, über irische Folklore, Geschichtenerzähler und Rockbands; Fernsehdokumentarist, Rundfunkjournalist, Mitarbeiter von zahlreichen Zeitschriften und Magazinen - die immer noch höchst unvollkommene Aufzählung einer Biographie von ungewöhnlicher Kompetenz und beruflicher Redlichkeit.
    Zwischen dem korpulenten, gemütsoffenem Kollegen und mir bedarf es kaum einer Vorverständigung. Manches, was in dieser Rubrik über Dublin berichtet wird, ist von Ralf Sotschek angeregt und inspiriert worden. Auch bei der Abfassung des Buches konnte ich ihn zu jeder Tag- und Nachtzeit um Rat behelligen.
    Daß ich jetzt an dieser heiligen Stätte des Guinness-Aus-schanks bei meiner ingwerversetzten Limonade bleibe, er aber schon beim dritten Glas Stout ist, tut den gegenseitigen Sympathien keinen Abbruch.
    Der Pub mit dem legendären Namen ist brechend voll und dafür noch erstaunlich unverqualmt. Parkettboden, vor der Theke runde Stühle, der Barkeeper in Hemd und Schlips, die Entlüftung wohltuend, gut, daß der Fernseher nicht läuft. Gegen 22 Uhr übertönt das Stimmengewirr den Lärm der Abbruchbirne draußen, und der Pub ist total verraucht. Ralf ist wohl bei seinem sechsten oder siebten Glas angelangt (bei dem es nicht bleibt), aber so klar bei Verstand wie zu Beginn. Wohl hatte er mich inzwischen aufgefordert, an dem dunklen Gesöff wenig-stens zu nippen, was ich auch gehorsam tat, ohne jedoch überzeugt zu werden. Daraufhin bestellte er mir teilnehmend einen weiteren Softdrink.
    Bis schließlich das »Time, ladies and gentlemen, please« ertönt, der warnende, noch nicht ganz ernstgemeinte Aufruf, das letzte Guinness zu bestellen, bin ich von ihm eingeweiht in die Dubliner Szene der »verlängerten Wohnzimmer«, wie die Pubs auch genannt werden; daß bei Fagan’s in der Lower Drumcondra Road die Bar nach wie vor männerbeherrscht ist, die Frauen also immer noch in die benachbarte lounge verbannt sind, wo sie zwar auf Polstern sitzen, aber für die Getränke mehr bezahlen müssen; daß »Ryan’s« in der Parkgate Street - »der schönste überhaupt« -1990 den Wettbewerb um den »Pub des Jahres« gc von-nen hat; daß bei »Madigan’s« in der North Earl Street die alte Uhr immer noch die Botschaft »tempus fugit« (»die Zeit flieht«) verkündet, und daß »Davy Byrne’s«, wo wir sind, im »Ulyssees« von James Joyce genannt wird.
    Wir beide sind die letzten Gäste, die gehen, nachdem Tische und Stühle hochgeklappt und auf die Bänke gestellt worden sind und der Parkettboden schon aufgewischt wird.
    Aus der Fülle der Angebote, die Ralf Sotschek mir macht, entscheide ich mich für eine Versammlung kommender Woche in Dublins Gewerkschaftshaus, Parnell Square 36. Es handelt sich um eine Solidaritätsbekundung für Journalisten und Redakteure, denen von der Leitung eines irischen Pressekonzerns mit der Begründung sinkender Auflagen rigoros gekündigt wurde, während die Betroffenen die wahren Motive für ihre Entlassung und Aussperrung in kritischen Artikeln gegenüber dem Management sehen. Bedroht sind 400 Menschen. Derzeit kommt eine Notzeitung heraus, zwei Blatt, um zu zeigen, daß man noch da ist. Doch zu retten wird kaum etwas sein, zumal der Staat schon abgelehnt hat, einzugreifen. »Du sollst mal sehen, was da los ist. Selbst wenn’s um die Wurst geht - die Iren verlieren den Humor nicht.«
     
    Zum angegebenen Termin ist der kahle Raum im Parterre des St. Georgian House noch so gut wie leer. Nur vorn am Tisch, wo alle möglichen

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