Mein irisches Tagebuch
irischen Hochkönig, der im 11. Jahrhundert zwar die Wikinger besiegte, aber selbst in der historischen Schlacht umkam. Die unbestechliche Meßfähigkeit unserer Zeit verweist solche Ansicht jedoch in das Reich der Sagen und die wahre Geburt der Harfe in das 17. Jahrhundert -ihrer ungebrochenen Ausstrahlung tut das keinen Abbruch. Immer wieder wandert mein Blick hin zu ihr, die da unter Glas ruht, beleuchtet, klobig, schweres Holz und für alle Zeiten stumm.
Die Aufsicht in der Old Library hat ein statdicher Sechziger -frisches irisches Gesicht, dunkler Blazer, dunkler Schlips, blaues Hemd, Lackschuhe, vor dem Mund einen Walkman, den er gerade absetzt, um einer Dame zu bestätigen, daß die Temperatur in der Alten Bibliothek nicht klimageregelt sei, im Gegensatz zu dem Raum des »Book of Kells« im Parterre. Dann setzt er, leise vor sich hin summend, seinen Rundgang fort. Vor dem englischen Philosophen John Locke (1632-1704) bleibt er ein paar Sekunden stehen, blickt auf die Büste und geht dann leicht wippend weiter.
Wie lange tut er hier schon Dienst, und was bedeutet ihm die Bibliothek? Wie der Mann auftritt, verbieten sich persönliche Fragen. Wohl aber hat er mir dann, auf meine Bitte, geduldig das System der Ausleihung erklärt, und zwar in dem ausgezeichnetsten Oxford-Englisch, das ich je gehört habe.
Draußen wartet Neill S., zuverlässig, freundlich entspannt, und auch diesmal, sobald wir ins Gespräch kommen, überraschend in seinen Auskünften: Egal wo - Berge sind für ihn männlich, Flüsse weiblich, Länder sowohl als auch. Wir kamen darauf, weil der Strom, der Dublin zweiteilt, auf Deutsch irrtümlich meist der statt richtigerweise die Liffey genannt wird. »Aber können Sie das denn unterscheiden?« frage ich. »Im Englischen heißen doch alle bestimmten Artikel - der, die, das - the .«
Darauf Neill, auf seine unnachahmliche Art zu mir gewandt und doch mit allen Sinnen vorn auf der Straße: »l Vir können es.«
»Also gut - Germany?«
»Männlich.«
»Norwegen?«
»Auch männlich.«
»Schweden?«
»Weiblich, wie Wales. Aber Schotdand ist wieder männlich.«
»Und England?«
»Nothing!«
Mein irisches Tagebuch VII
5. Juni.
Dublins Walworth Road könnte durchaus stellvertretend sein für den Anblick typischer Wohnquartiere auf den vormals britischen Inseln, denen Irland in manchen Atlanten immer noch zugeschlagen wird - trister Backstein und baumlose Öde.
Hier befindet sich das Jüdische Museum, the Irish Jewish Museum.
Ich werde empfangen von einer freundlichen Dame, die sich aber gleich zurückzieht in einen Raum voller Schülerinnen und Schüler, irischen Rotschöpfen, von denen sich einige gerade kichernd über Fotos mit Juden in rituellem Habitus belustigen. Doch dann werden sie ernst und beugen sich aufmerksam über den Tisch mit der Menora, dem jüdischen Leuchter, als von sakralen Gebräuchen am Sabbat gesprochen wird. Offenbar hören sie zum erstenmal davon, daß es für Juden dann nicht erlaube ist, zu kochen oder überhaupt eine Arbeit zu verrichten; daß es getrennte Bestecke gibt für »Milchding« und »Fleischding«; daß koscher nicht nur bedeutet, kein Schweinefleisch zu essen; daß dieses Haus einmal eine Synagoge gewesen ist und die jüdische Gemeinde der ganzen Republik nicht mehr als 1500 Mitglieder zählt.
Ich gehe durch die Räume, die Treppe hoch - altes Gestühl, Thorarollen, Schofarhörner, der Betplatz. Hinter Glas unzählige Fotos: die Dubliner Synagoge in der Lombard Street, »Established 1893«; die in Limerick (1878) und in Cork (1881), offenbar Schwerpunkte jüdischer Geschichte in Irland. Und gerade deshalb wirkt die 1925 eröffnete neoklassizistische Greenville Hall wie verirrt in Zeit und Stil - was sich da ankündigt, Zukunft, Aufbruch, wird sich nicht erfüllen.
Ich weiß nicht, wie viele Synagogen und jüdische Einrichtungen in aller Welt ich aufgesucht habe, aber in kaum einer anderen war mir so bedrückt zumute wie hier, in diesem zu einem Museum umgestalteten jüdischen Gotteshaus Dublins.
Die erste Kunde, daß Juden nach Irland kamen, stammt aus dem Jahr 1079: »Five jews came over the sea and they were sent back again.« Bei den fünf Zurückgewiesenen kann es sich nur um jüdische Flüchtlinge aus dem benachbarten England gehandelt haben. Dort hatten Pogrome stattgefunden, die ein neues Zeitalter der Judenverfolgung einleiten sollten, waren Wellen eines kollektiven Antijudaismus hochgeschlagen, die rasch auf den Kontinent
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