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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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zu Lebzeiten der Schöpfer - sie kam von banalen Dieben, Einheimischen aller Wahrscheinlichkeit nach, Anfang des 11. Jahrhunderts. Das »Book of Kells« wurde schlicht geklaut, drei Monate später jedoch zum Glück wieder aufgefunden, wenngleich nun seines vergoldeten Einbandes beraubt und um dreißig Folien erleichtert. Seither besteht es statt der ursprünglichen 370 nur noch aus 340 Folios (das sind 680 Seiten).
    Aber ebenso hätten auch sie verschwunden sein können. Diese Gefahr kam noch einmal auf, als Cromwells protestantische Soldateska 1649/50 plündernd und schändend durch das katholische Irland zog. Doch auch dieser Kelch ging an dem Wunderwerk vorbei, das vorsorglich nach Dublin geschafft worden war und sich seither in der Obhut des Trinity College befindet.
    Wer hier auch nur fünf Minuten vor der Vitrine mit den Tag für Tag um eine neue Seite aufgeklappten Folios verweilt, der weiß, wie unwiederbringlich ein Verlust gewesen wäre. Richtig, es gibt da noch andere, ähnliche Bücher - das »Book of Mulling«, das »Book of Armagh«, das »Book of Durrow«, dieses älter sogar noch, aus dem Jahr 675. Aber keines von ihnen hat den Zauber des »Book of Kells«, keines hat sein Charisma und seine zeitlose, unversehrte, unantastbare Patina.
     
    Aus dem Erdgeschoß eine Treppe hoch, und ich stehe im Long-room vor einem Anlaß weiteren Staunens, einer geradezu ungeheuerlichen doppelgeschossigen Wand aus lauter Buchrücken: der Old Library, der Alten Bibliothek, des Trinity College.
    Eine Phalanx von Säulen, quer durch die sechzig Meter lange hochgewölbte Holzhalle, gleich vorn eine reich ornamentierte Wendeltreppe aus dunklem Eisen, deren altmodische Eleganz allein schon ein kulturhistorisches Kapitel für sich sein könnte, und Bücher, Bücher, Bücher, wohin das Auge fällt - 200 000 sollen hier gestapelt sein. Und das ist nur ein Zehntel des Gesamtbestandes, denn die Trinity College Library ist seit 1801 auch »Copyright-Bücherei«. Das heißt, sie ist berechtigt, von jedem in Großbritannien gedruckten Buch ein Exemplar zu beanspruchen. Und davon macht sie nach wie vor Gebrauch, wie sehr sich auch inzwischen das politische und staatliche Verhältnis Irlands und Englands zueinander verändert hat.
    Der Bewegungsbereich ist beschränkt, die Treppe nach oben und die einzelnen Boxen hier unten sind durch rote Kordeln versperrt. Niemand kann auf die bewegbaren Leitern steigen und sich das Gewünschte selbst holen, und doch ist alles bestens geregelt.
    Die großen, an den einzelnen Boxen sichtbar angebrachten Buchstaben täuschen allerdings, weil sie kein alphabetisches System der Autoren und der Titel bedeuten, sondern Ordnung nach Buchdimensionen - von A, den größten Büchern, bis O, denen mit dem kleinsten Umfang. Aber da alles genauestens katalogisiert ist, kann jedes gewünschte Werk sofort gefunden werden.
    Überall Büsten, streng ausgewählt, Koryphäen der Menschheit - Sokrates und Plato, Aristoteles und Cicero, Newton, Locke, und Swift, der Geistliche und große Kritiker, übrigens in dieser Galerie der einzige mit Kopfbedeckung. Die einen schauen nach rechts, die anderen nach links, während ich mich auch diesmal wieder frage, wie sie wohl wirklich ausgesehen haben mochten - Demosthenes zum Beispiel, glanzvollster Rhetoriker des antiken Griechenland.
    Ich sehe alte Handschriften, 5000 sollen es insgesamt sein, Inkunabeln, früheste Erzeugnisse der Buchdruckerkunst, unter Glas auf roter Unterlage »the earliest book in Irish types«, ausgewiesen mit dem Datum des 15. März 1575. Inhalt das ABC und der Katechismus auf gälisch, in Dublin gefertigt und für 49 000 Pfund angekauft. Davon sind zur Zeit meiner Gegenwart »for the cost of this national treasure« noch 20 000 Pfund zu zahlen. Unter Glas, angesichts bereits willig gespendeter Dollarnoten sowie irischer und britischer Münzen, der unverblümte Appell an das Kulturgewissen der Besucher, zur Verringerung der Schulden beizutragen: »Will you help?«
    I will.
    Wahrscheinlich blamiere ich mich, kann aber die Mitteilung nicht unterdrücken: Was mich hier in der Old Library am meisten beeindruckt, ist nicht das Bücheruniversum aus gebundenem Schweinsleder, sondern das mächtige Stück Holz, das da glänzend, schartig und gebeizt im Raum wuchtet - eine Harfe! Sie hat 29 aus metallgesäumten Löchern des Fundaments tretende Saiten, ist aus Weidenholz und Eiche gefertigt und wird falscher Überlieferung nach mit Brian Bora verbunden, dem

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