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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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hinüberschwappten und sich 1098 mit den Massakern an den Juden des Rhein tals durch die frommen Pilger des ersten Kreuzzuges fortsetzten.
    Juden werden für alles verantwortlich gemacht, für Sonnenfinsternisse und Kriege, für Hunger und für die Große Pest, und natürlich für die Kreuzigung Jesu, obschon sie nach der Lehre ein in diesem Fall erforschlicher Ratschluß Gottes war, mit der Opferung des Sohnes die Menschheit zu erlösen, und es ohne die Kreuzigung kein Neues Testament, kein Evangelium, keine Heilslehre, mit einem Wort: kein Christentum gegeben hätte.
    Nach dem Ausweisungsedikt des spanischen Königspaars Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien, 1492, landen Juden, sogenannte Sephardim, auch an der Südküste Irlands.
    Damit beginnt ihre seltsame Geschichte auf der Insel.
    Nachrichten über sie und ihre Nachkommen sind spärlich, was nur als gutes Zeichen gewertet werden kann. Mag es Diskriminierungen gegeben haben, Verfolgungen gab es nicht. In Youghal wird 1555 ein Mann Bürgermeister, dessen Name - William Annyas - auf sephardischen Ursprung schließen läßt. Das große Informationsdefizit der folgenden Jahrhunderte deutet eher hin auf Konfliktlosigkeit zwischen den Juden Irlands und ihren Zeitgenossen, setzt man einmal berufliche und gesellschaftliche Einschränkungen als selbstverständlich voraus, sowohl durch die Herrschaft des britischen Protestantismus als auch durch die irisch-katholische Volkskirche. Gleichheit gab es nicht, aber ebensowenig Hatz, Prügel und Mord.
    Zwar weist das Register der jüdischen Gemeinde Dublins von 1820 bis 1879 schon steigende Mitgliederziffern aus (»From the four corners of Europe«, aus allen seinen vier Ecken kamen sie), aber erst die Flucht vor den schrecklichen Pogromen im zaristischen Rußland am Ende des vorigen Jahrhunderts führt zu einer jüdischen Immigration größeren Ausmaßes. Juden aus dem Osten des Kontinents siedeln in Limerick, in Waterford, Cork und Dublin, in Belfast und Londonderry. Sie kommen ohne Geld, sind jung und fallen durch ihr gravitätisches Äußeres auf, besonders durch ihre Bärte bereits in jungen Jahren.
    Und schon läutet sich auch in Irland das neue, das 20.Jahrhundert mit antisemitischen Ausschreitungen ein, gibt es 1904 ein regelrechtes Pogrom in Limerick. Juden müssen fliehen nach Cork und nach Dublin, aber sie werden auch von Teilen der Bevölkerung unterstützt und beschützt. Der Angriff bleibt zum Glück ein einmaliger Fall, haftet jedoch im Gedächtnis der jüdischen Gemeinschaft Irlands.
    Sie zentriert sich vor allem in der Hauptstadt, wo Juden in der Nachbarschaft der South Circular Road wohnen, in Portobello, in Dolphin’s Barn, an der Bloomfield Avenue, und sieben Syn- a g°gen ihre Tore geöffnet haben. Einer aus dem Viertel Clanbras-sil Road und South Richmond Street (auch »litde Jerusalem« genannt) ist Isaac Halevi Herzog, der 1919 von Belfast nach Dublin kam und 1922 der erste Oberrabbiner des jungen Freistaats Irland wird (»The communities first Chief Rabbi«, wie ich hier lesen kann). Sohn Chaim wächst auf in »litde Jerusalem«, wandert aber 1937 mit den Eltern nach Palästina aus, ahnungslos, daß er Präsident des unabhängigen Judenstaats Israel werden und in diesem Rang am 20.Juni 1985 zusammen mit seiner Frau Ora der Republik Irland einen gefeierten Staatsbesuch abstatten wird. Fotos von dem großen Ereignis sind, unverbergbar, der Stolz des Irish Jewish Museum in der Walworth Road von Dublin - es badet geradezu darin.
    Irlands Juden, diese eineinhalbtausendköpfige Minigruppe, werden ihren statistischen Stand möglicherweise noch einige Zeit halten, aber nicht auf Dauer. Das liegt nicht allein daran, daß die Geburtenrate ihren niedrigsten Punkt erreicht hat. Vielmehr hat Irland, besonders in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, zu dieser Lage beigetragen.
    1933, nach Hitlers Triumph am 30.Januar und dem Einmarsch in Österreich März 1938, hat es nur 25 Verfolgten die Einreise gestattet. Während Juden aus vielen Ländern 1846-1850 hungernden Iren zu helfen versucht hatten, verschloß Irland neunzig Jahre später, als eine große Zahl von Juden tödlich bedroht war, seine Pforten fest vor ihnen.
    Und der Übervater der irischen Unabhängigkeitsgeschichte, Eamon de Valera (einziger Überlebender der Führungsriege des Osteraufstands von 1916 und Regierungschef der Jahre 1932 bis 1948,1951 bis 1954 und 1957 bis 1959) - Eamon de Valera und seine Politik waren gewiß nicht dazu

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