Mein irisches Tagebuch
angetan, den Juden Irlands ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Zu unheimlich muß ihnen das klammheimliche Liebäugeln mit Hitlerdeutschland gewesen sein, zu zwielichtig die irische Neutralität auch im Zweiten Weltkrieg, dieses ganze mühsam unter der Decke gehaltene und dennoch unverkennbare Sympathiegewebe mit der »Achse« nach dem tumben Motto »Die Feinde unserer Feinde sind unsere Freunde«.
Es war schließlich die Abscheulichkeit des Nazisystems selbst, die dafür sorgte, daß die dubiose irische Bundesgenossenschaft mit Deutschland nicht so intensiv war wie im Ersten Weltkrieg.
Aber bestanden hat die dumpfe Liaison, wenn auch letztlich folgenlos, in bestimmten Kreisen doch. Und nicht nur dort, nicht nur unter den Englandhassern der dünnen Oberklasse, sondern auch in den Köpfen und Herzen mancher sogenannter einfacher Leute.
In den dreißiger und vierziger Jahren treten in Irland neben dem traditionellen klerikalen Antijudaismus eindeutige Ausdrucksformen des rassistisch-doktrinären Antisemitismus der Epoche zu Tage, obschon von seinen vorher undenkbaren Verbrechen aus der Mitte des deutschbesetzten Europa auf der Insel vieles bekannt geworden war. So konnte im Juli 1943, als die Krematorien der Vernichtungslager ihren schwarzen Rauch schon seit über einem Jahr in den Himmel Osteuropas schickten, der Abgeordnete Oliver G. Flanagan im Dail, dem Parlament des Freistaats Irland, Hitlers »Judenpolitik« öffentlich verteidigen und die Opfer unwidersprochen verhöhnen: »Where’s the honey, there’s the bee, and where’s the money, there’s thejew.« (»Wo der Honig ist, da ist die Biene, und wo das Geld ist, da ist der Jude.«)
Was schließlich hatten Irlands Juden zu erwarten von einem Regierungschef Eamon de Valera, der im Mai 1945 der deutschen Botschaft in Dublin aus Anlaß von Hitlers Tod einen Kondolenzbesuch abstattete? Und was die Beziehungen zwischen Israel und Irland angeht, so können sie über lange Strecken der Nachkriegszeit, ja bis vor kurzem noch, eher als kühl bezeichnet werden. Das hat sich atmosphärisch erst unter der Präsidentschaft von Mary Robinson geändert, also spät, sehr spät.
Über solche und andere Denkwürdigkeiten können auch jüdische Erfolgsbiographien nicht hinwegtäuschen, etwa die zweier jüdischer Bürgermeister von Dublin oder die eines jüdischen Stadtoberhaupts von Cork. Es stimmt zwar, daß im Parlament jüdische Abgeordnete gesessen haben, und daß sie dort in das »Gebet für das Vaterland«, mit dem Regierung und Plenum Gottes Segen herabflehen, einbezogen wurden. Und es stimmt auch, daß mit Mervin Taylor der erste Jude Kabinettsmitglied wurde und unter dem Ministerpräsidenten John Bruton das wichtige Ressort Equality and law innehatte, Gleichstellung und Justiz, in das die umstrittene, im Herbst 1995 parlamentarisch nur knapp akzeptierte Legalisierung der Ehescheidung gehört.
Aber Ausnahmen wie diese können an den Grundtatsachen irisch-jüdischer Beziehungen oder Nichtbeziehungen nichts ändern, sie sind nur scheinbar gegenläufig.
Viel gravierender ist, daß auch Juden von der »irischen Krankheit« befallen sind, also von dem, was die »institutioneile Auswanderung« genannt wird. In den letzten Jahrzehnten hat die Dubliner Gemeinde, die nahezu identisch ist mit der ganz Irlands, fast vierzig Prozent ihrer Mitgliedschaft eingebüßt. Noch schlechter sieht es aus in Cork, der zweitgrößten Stadt, wo die Handvoll Juden selten die zehn Männer zusammenkriegt, die es braucht, um das Quorum für den Gottesdienst zu erfüllen. Das Irland von heute hält seine Juden nicht.
Zwar gibt es im ehemaligen »Klein-Jerusalem« noch »The Bretzel«, ein Laden, in dem zu bestimmten Öffnungszeiten koschere Croissants, Pizzas und Gebäck verkauft werden, aber das meist an nichtjüdische Kunden (die dafür allerdings gern Sonntag morgens bis um zwei Ecken herum Schlange stehen).
Zur Stunde meiner Anwesenheit in Dublins Jüdischem Museum ist die Stelle eines irischen Oberrabbiners vakant. Der Aufenthalt des letzten Amtsinhabers, eines Briten, war nicht mehr als ein fluchtartig beendetes Zwischenspiel, während ein visiting rabbi, ein Interims-Rabbi sozusagen, immerhin versprochen hat, bis zu einer Neuwahl auszuharren.
Hier soll nicht verschwiegen werden, daß neben den historischen Vorbelastungen die gegenwärtige Zerstrittenheit der Gemeinde zur allgemeinen Misere beiträgt. Es bestehen zwei Synagogen, eine an der Adelaide Road und eine in derTerenure
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