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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Wanderer des Wegs, ein Ire aus Glencree, wie sich herausstellt. Ja, bestätigt der Mann, jedes Jahr im November kämen hier Leute zusammen, Iren und Deutsche. Auch aus der Botschaft in Dublin.
     

Seit Homer sind wir das alle
     
    Die Iren, dieses kleine Volk, haben eine wahre Springflut von Schriftstellergenies hervorgebracht. Nennt man ihren Urvater, Jonathan Swift, den Autor von »Gullivers Reisen«, und setzt die Liste fort mit George Bernard Shaw, Oscar Wilde und William Butler Yeats, so wird umgehend gefragt werden, warum Sean O’Casey, Samuel Beckett und George Moore unerwähnt blieben. Falls man sie jedoch genannt hätte, nicht aber Brendan Behan, Liam O’Flaherty und Frank O’Connor, so wird einem ebenso in die Parade gefahren. Und dann gibt es da auch noch Seamus Heaney, Sean O’Faolain, Elizabeth Bowen oder - klar -James Joyce.
    Da die Arbeit über jeden einzelnen von ihnen schon, wie vielfach geschehen, ganze Bücher füllen könnte, der Rahmen des meinen damit also gesprengt wäre, brauchen hier literaturtheoretische Abhandlungen großen Stils nicht befürchtet zu werden. Aber natürlich wäre ein Buch über Irland, das an seinen Schriftstellern vorbeiginge, ein ignoranter Torso, zumal von einem Autor, der vorgibt, es zu lieben, und der Dublin darin eine eigene Rubrik eingeräumt hat.
    Als Motiv kommt mir zugute, daß mein Aufenthalt einen Tag einschließt, der ein besonderes, ja, ein ganz unvergleichliches Ereignis darstellt, über das denn auch auf diesen Seiten sehr bald berichtet wird. Nicht ohne warnend anzufügen, daß es grundverkehrt wäre, die Vielfalt und den Reichtum der irischen Literaturgeschichte auf dieses Kultdatum zu reduzieren oder gar zu zentrieren.
    Es ist wahr, gerade die großen Literaten haben kein gutes Haar gelassen an Irland, sowohl an dem protestantisch beherrschten Kolonialgebiet als auch an dem katholischen Freistaat und der Republik, schon gar nicht an ihren Landsleuten und noch weniger an Dublin.
    Auch dabei vorneweg Jonathan Swift, der die Iren »ein Volk von Verrätern und Untertanen« schimpfte, während der Romancier George Moore, der ein Leben im Ausland vorzog, 300 Jahre später sarkastisch anmerkte: »Ein Ire muß aus Irland fliehen, wenn er er selbst bleiben will«, bestätigt von Samuel Becketts grimmigem Kommentar: »Frankreich ist im Kriege immer noch besser auszuhalten als Irland im Frieden.«
    James Joyce gar nannte es »die Sau, die ihre Jungen frißt - hier ist kein Leben, keine Natürlichkeit oder Aufrichtigkeit«.
    Kein anderes Land, auch Deutschland nicht, hat eine so umfangreiche Exilliteratur wie Irland, wozu der bigotte irische Katholizismus bis in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts entscheidend beigetragen hat. Väter der Vertreibung waren vor allem der Hochklerus und sein moralisierender Anhang, die Hüter rigoroser Zensurkriterien, deren stickigem Provinzialismus sich die kritisch-weltläufige Geisteselite des Wortes nur durch Flucht entziehen konnte, wollte sie sich nicht selbst zur Ohnmacht verdammen.
    Zensurfälle hefteten die betroffenen Autoren sich an wie Orden und Ehrenzeichen, ja, die Meinung der liberalen irischen Öffentlichkeit ging soweit, daß eine Schrift, ein Buch, die nicht verboten wurden, als minderwertig galten. Bis zur Lockerung im Jahr 1967 (!) standen auf dem Index der katholischen Kirche aber nicht nur die Namen der großen und nahezu vollzählig exilierten Iren, sondern auch Koryphäen der Weltliteratur wie William Faulkner, Thomas Mann, Marcel Proust, Aldous Huxley und viele andere.
    Das unabhängige Irland von 1921 war fünfzig Jahre lang keineswegs die demokratische Republik, die der Besucher von heute kennt und in die es alljährlich Millionen von Touristen zieht, nicht der den westlichen Vorbildern inzwischen weitgehend angepaßte demokratische Verfassungsstaat. Dieses Irland war ein Land der geistigen Öde und der Angst vor öffetlicher Behandlung gerade der Themen, die sein neurotischer Zustand produzierte - Sexualpsychosen, Ehetragödien, Gewalt gegen Frauen (von der, spöttischen Stimmen nach, nur eine einzige ausgenommen war - die Jungfrau Maria).
    Wer von den Schriftstellern blieb, ohne innerlich klein beizugeben, wer literarische Fluchtmöglichkeiten sah und die Kraft des Wortes verströmen ließ in poetisierendem Patriotismus oder in der literarischen Kultivierung alkoholisierten Unglücks, den rafften im Irland der mangelnden Geistesfreiheit die kreativen Versagungen schon in jungen Jahren dahin. Wie

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