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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Revolutionäre zu jagen und einzufangen, es muß ein armseliges und strapazierendes Geschäft gewesen sein, sie bis in diese Einsamkeit zu verfolgen. Denn wer immer sich auf der Straße ins Innere der Wicklow-Berge bewegte, er war von weither wie auf einem Präsentierteller zu erkennen.
    Sumpf und Torf neben der Straße, die sich in Schlangenlinien südwärts windet, harter, brauner Bewuchs, zählebige Vegetation. Vor mir die Hochregion der Wicklow Mountains, der Gipfel des Lugnaquilla jetzt in den Wolken, links die Grate und Zacken der Vorgebirge. An einigen Stellen brennt es, Qualmsäulen steigen hoch, Torffeuer. Unten, glühend, lodernd, wabern von den Bergflanken weiße Schwaden auf und verdichten sich zu einem riesigen Rauchpilz, der sich mit einer noch riesigeren Naturwolke vereint, um bald mit ihr als ein Gebilde zur Erde zurückzufallen.
    Von den einstigen Blockhäusern für die Truppe, deren es angeblich längs der alten Straße noch einige geben soll, entdecke ich nichts, nur ein verloren wirkendes Schild mit der Aufschrift »Military Road«. Hier lief die Amtsstraße weiter, vorbei an einem imponierenden Wasserfall, über den der Glenmacness rein und tosend hinabfällt, ehe er vor Laragh in ein langgestrecktes Becken stürzt und sich mäandernd den Blicken entzieht.
    Auf der nicht steil, aber stetig ansteigenden R 758 fahre ich hoch zum Wicklow Gap, dem anderen der beiden Pässe in ostwestlicher Richtung.
    Mit zwei großen Kurven windet sich die Straße aufwärts, bis hoch hinauf begleitet vom Gelb des unverwüstlichen irischen Stechginsters. Oben dann, auf der Paßhöhe, nichts als die Vorherrschaft der Berge, südlich die Table Mountains, die Mullagh-cleevauns nördlich, mit ihren Zacken, Graten, Buckeln wie geronnen in ungeheures Schweigen.
    Auf dem Weg zurück dann, vor Laragh, Glendalough, das »Tal der beiden Seen«, so die Übersetzung des irischen Namens Gleann da Locha - eine der ältesten Kiosteranlagen der Insel. Hier soll ihr Gründer, der Heilige Kevin, 6x8 im Alter von 120 Jahren gestorben sein.
    Schon weit vom Talgrund grüßt jenes Wahrzeichen herauf, in dessen historischem Schatten die ganze Ruine steht, der alte
    Rundturm, ein über dreißig Meter hoher Festungsfinger und steinernes Ungetüm, mit dem hohen Eingangsloch und den spärlichen Fenstern unter dem spitzem Dach noch ganz im Zustand unveränderter Originalität.
    Ich betrete die Anlage durch einen Torbogen, erschrecke vor einem unvermittelt aufragenden Hochkreuz und fühle mich eingepfercht von einem Labyrinth aus bemoosten Grabsteinen. Um mich herum tonnenschwere Platten, ihrer Reliefs beraubt, die Gravuren und alle erhabenen Zeichen gleichermaßen wie weggeraspelt von den Ewigkeiten seit ihrer Entstehung, die Ruinen zurückgelassen wie aufgerissene Leiber von Steinsauriern.
    Wie ein Denkmal der frühen, vorrömischen Christenheit Irlands, ein Relikt religiöser Autonomie, so empfinde ich sie mit ihrem seltsam anmutenden Steildach aus Glimmerschiefer und der rührenden Einfachheit ihrer Architektur, eine der ältesten Kirchen auf irischem Boden - St. Kevin’s Church.
    Glendalough war einmal ein Platz frommer Gelehrsamkeit, tausend Schüler und gebildete Mönche haben hier auf engem Raum zusammen gelebt, gelernt und gearbeitet. Wasser war da aus dem Glenealo River, der damals wie heute kräftig durch das an dieser Stelle verengte Tal zwischen den 600,700 Meter hohen Berghängen strömt, und Holz auch, um zu kochen und Wärme zu erzeugen. Nur seine Feinde konnte sich das Kloster nicht aussuchen. Sie kamen mit Wikingern und Normannen, es gab Brände und den langsamen Verfall des Klosters nach dem letzten Feuer von 1398.
    Wie immer, zieht mich auch hier der Rundturm magisch an, ein nationales Baumonument. Der Eingang dreieinhalb Meter über der Erde, kein einziger Stein gemauert, nur Fels, unten die schwersten Blöcke, das Fundament, auf das ein Gewicht von Tausenden von Zentnern drückt. Krähen fliegen in die dachnahen Öffnungen und wieder hinaus, während ein Loch hier unten in der Mauer, eben über dem Boden,gebückt den Blick ins Innere gestattet - und einem das Blut in den Adern gefrieren läßt. Die gewaltigen Quader nun von der Innenseite sichtbar und höher hinaufgemauert als von draußen zu erkennen; der Durchmesser des Turms kaum mehr als fünf Meter, ein Einschluß von unsagbarer Enge und Bedrückung bei Belagerung, nicht umzustürzen und nicht auszuräuchern zwar, eine geniale Fortifikation, Angreifer zu sichten und

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