Mein irisches Tagebuch
Brendan Behan, dieses Urbild schöpferischen Ungestüms, dessen tragisch versoffene Säuferphysiognomie noch heute über dem Tresen von »Mc Daid’s Pub« in Dublins Harry Street zu besichtigen ist. Er starb 1967, gerade mal 41jährig. Fast so lang, nur ein Jahr weniger, hat das Exil des 1964 verstorbenen Dramatikers Sean O’Casey gewährt.
Trotz allem aber darf die umfangreiche Chronik so vieler exilierter irischer Schriftsteller, darf ihre räumliche und oft auch verbal bekundete Entfernung von der Heimat und seinen Menschen nicht zu dem Schluß verleiten, es habe sich hier auch eine innere Trennung vollzogen - nichts wäre verkehrter als solche Folgerung, selbst bei dem rabiatesten von ihnen, James Joyce.
Das Amalgam war jene Art von Haßliebe, die überhaupt erst die Voraussetzung für die Unauflösbarkeit einer Bindung schafft. Mit irischem Vorzeichen hat das etwas an sich von der kritischen An-schmiedung Heinrich Heines an das Land seiner Geburt und Herkunft, Deutschland, die erst im Exil wirklich unaufhebbar wird.
Writer’s Museum, 18 Parnell Square, Dublin.
Gleich vorn die Büste eines vergrätzten George Bernard Shaw (1856-1950), gnatzig auch auf einem Gemälde mit weißem Rauschebart, braunem Anzug und Weste, aus deren Tasche eine Brille lugt (mir huscht dabei durchs Hirn: Hätte auch nur einer den Nobelpreisträger für Literatur von 1925 ohne seinen Bart auf der Straße erkannt?).
Der aristokratische Kopf von William Butler Yeats (1865-1939), Nobelpreisträger für Literatur 1923, ein Jugendbildnis - die feine Nase, der witternde Ausdruck.
Auf dem Weg zur großen Treppe ein Profilfoto von Samuel Beckett (1906-1989), Nobelpreisträger für Literatur 1969. Der wichtigste, einflußreichste und publicityscheueste Dramatiker seiner Epoche akzeptierte zwar die hohe Auszeichnung, weigerte sich jedoch, sie persönlich entgegenzunehmen.
Beckett hatte Irland schon 1931, mit 25, verlassen, hatte fortan in Paris und London gelebt und gearbeitet und war nur gelegentlich und erklärterweise widerwillig auf die Insel zurückgekehrt.
Oben, in der Galerie des Museums, taucht er ein zweites Mal auf: eine stählerne Büste, ruhmgeprägt, die Augenbrauenbögen fast karikaturesk überzeichnet, ein von Geist gestanztes, von Lebensfeuer eingebranntes Haupt von geradezu magischer Ausstrahlung.
Und dann, gleichsam das zermürbte Gegenbild zu Beckett -die zerknautschte Trinkervisage des Brendan Behan. Fotos: der Dichter von »Borstal Boy« in einer Art Wolljacke, wild gelockt, wüst auf seine alte, abgenutzte Remington einhämmernd - noch jung und strahlend, wie auf dem Paßbild in seinem Ausweis.
Auf dem Umschlag seines Buches »The Quare Fellow« aber tritt schon der Säufer hervor, während der Presseausweis von 1958 nur noch die entgleisten Gesichtszüge eines hoffnungslos verlorenen Alkoholikers entblößen - auf wenigen Fotos die Chronologie einer Lebenstragödie.
Schließlich das Enfant terrible der irischen Literatur, nach dem ich schon gespannt ausgeschaut habe - Patrick (Paddy) Kavanagh (1904-1967). Der Sohn eines irischen Bauern soll seine Stiefel mit Kuhmist bestrichen haben, bevor er nach Dublin fuhr, auf daß kein Zweifel an seiner Herkunft aufkommen konnte. In seinem ersten Buch »A Soul for Sale« strich ihm der Verleger die Zeilen, die eine sexuelle Selbstbefriedigung schilderten. Damit das Buch erscheinen konnte, ließ der Autor sich brummend darauf ein. Aber nur, um höchstpersönlich in die Buchhandlungen zu gehen und dort die fehlenden Zeilen handschriftlich einzufügen samt seinem Kommentar, daß die Stelle in dieser Auflage bedauerlicherweise gestrichen worden sei. Er wußte es besser - sie war in keiner gedruckt worden.
Patrick Kavanagh war es auch, der einmal in einem der Dubliner Pubs, seiner zweiten Heimat, einem Journalisten auf dessen Anschuldigung »Sie sind doch sowieso nur ein zweitrangiger Dichter« nach kurzer Überlegung die denkwürdige Entgegnung verpaßte: »Seit Homer sind wir das alle!«
Writer’s Museum zeigt seine Totenmaske, ein strenges Gesicht, die Nase hervorspringend, nicht sehr unterschieden von Fotos des lebenden Schriftstellers mit seinem aus der Stirn fliehenden Haarkranz, der dunklen Brille und dem verrutschten Schlips über dem offenen Hemdkragen.
Dennoch ist eine Begegnung mit Patrick Kavanagh möglich, erschreckend, ja gespenstisch für den, der, wie ich, von ihr überrascht wird - auf der Wilton Terrace am Grand Canal.
Der Große Kanal im Süden
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