Mein irisches Tagebuch
sich vor ihnen zu bewahren, und doch nichts als ein nacktes Mahnmal der Furcht des Menschen vor dem Menschen.
Hinter Laragh dann weiter auf der alten Military Road über den Avonmore River bis Drumgoff, wo der Blick über die Wicklows so frei wird, daß du denkst: Wo liegt der Äquator?
Ich will hier gern gestehen, daß ich nie das Empfinden hatte, dieses Land sei klein, im Gegenteil. Obwohl an Ausdehnung eben 70 000 Quadratkilometer, also gerade mal von der Fläche Bayerns, will mir Irland riesengroß Vorkommen mit seinen unerschöpflich wechselnden Landschaften, dem Formenreichtum seiner Seen, seiner Ebenen, Flüsse, Meeresküsten und Gebirge. Gerade die Berge können den einsam Reisenden, zumal in den düsteren Jahreszeiten, rasch das Fürchten lehren, können im Nu die Angst erzeugen, sich leicht zu verirren. Beklemmungen, die noch bestärkt werden durch Straßen, auf denen alle Distanzen ohnehin die doppelte Zeit verlangen, weil sie nicht angelegt worden sind, um schnell von Punkt A zu Punkt B zu gelangen, sondern von Irlands Geschichte und Topographie gezogen wurden.
Jetzt hinüber in das Vale of Clara, das Tal des Avonmore, der gemächlich vor sich hintreibt, bis Kaskaden seinen Lauf beschleunigen und er eilig dem meeting of the water zuströmt. Dorthin, wo die hellen Wasser des Avonbeg, von Westen unter einer efeubehangenen, dreibögigen Brücke hervorschießend, sich mit den dunklen des Avonmore treffen und sich zum Avoca River vereinen, der bei Arklow in die Irische See fließt.
Dann geht es auf der gleichen Strecke nach Dublin zurück. Nur am Sally Gap nehme ich nicht den Weg über Kilbride und Brittas, sondern fahre nach Norden hoch, über Glencree. Leider, denn dort sorgt eine Begegnung dafür, daß der Tag mit einer Mißstimmung endet.
Vor dem Ort, abgelegen, ein Friedhof, ein Kriegsfriedhof: »1914-1918« und »1939-1945« lese ich. Ein schweres eisernes Tor, dahinter ein massives Haus, verschlossen. Oben, an einer Felswand, die die Rückseite abschließt - »Beware of falling rocks« -, ein irisches Hochkreuz, rechts ein rauschender Bach. Eine Friedhofsordnung, angeschlagen in deutscher Sprache, signiert vom »Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge«. Darin erfährt der Besucher, daß die Stätte allen offenstehe und daß »angesichts des gemeinsamen Schicksals der hier ruhenden Kriegstoten« die Grabflächen bewußt einheitlich gestaltet worden seien. Ferner, daß Kränze, Schnittblumen und Blumentöpfe bis zu einem Durchmesser von dreißig Zentimetern niedergelegt werden können und daß, um der Würde des Ortes zu entsprechen, von jeglicher Verkaufstätigkeit und Verteilung von Druckschriften abgesehen werden solle. Gedenkfeiern dagegen dürfen abgehalten werden.
Dasselbe auf englisch - »Cemetary Regulations«.
Die hier Bestatteten sind Gefallene oder Umgekommene aus beiden Weltkriegen, meist Mannschaftsdienstgrade - Gefreite, Obergefreite, Oberfeldwebel. Einer von ihnen, 1914 geboren, starb 1941, andere Steine zeigen die Todesjahre 1915, 1917, 1942 an.
Und jetzt erst sehe ich eine Plakette, auf der in deutsch steht: »Mein Los war der Tod unter irischem Himmel und ein Bett in Irlands guter Erde. Was ich geträumt, geplant, band mich ans Vaterland. Aber mich wies der Krieg zum Schlaf in Glencree. Leid war und Schmerz, was ich verlor und gewann. Wenn du vorübergehst, sprich ein Gebet, daß Verlust sich in Segen verwandle.«
Wanderer, kommst du nach Sparta...
Kein Wort, in wessen Händen sich das Vaterland damals befunden hat, auf wessen Befehl gekämpft worden ist und für welche Interessen und Mächte diese jungen Deutschen in Wahrheit ihr Leben gelassen haben. Statt dessen romantisierender Schwulst und pseudophilosophischer Kitsch.
Der Ungeist dieser deutschen Organisation, die immer wieder die in unserem Jahrhundert von Deutschland ausgegangenen großen Kriege »im Tode«, dem angeblichen Gleichmacher, ebenso neutralisiert, wie sie Kriegsmotive, -praktiken und -ziele der Anstifter unterschlägt, dieser Ungeist hat also auch bis in die Abgeschiedenheit der irischen Wildnis gefunden.
»Ein Bett in Irlands guter Erde«? Gibt es dazu Pendants für Gräber in Polen, in Rußland, Weißrußland, der Ukraine? Korrespondiert hier nicht etwas mit der alten These mancher Iren »Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde«, nur vice versa?
Gibt es denn kein Land in Europa, in dem einem Begegnungen wie diese erspart bleiben?
Bevor ich der Stätte den Rücken kehre, kommt tatsächlich ein
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