Mein irisches Tagebuch
politischen Wandlungen seither - archaische Muster.
Um den Magnetismus der Geschlechter unter der Fuchtel der Jugend geht es, den hysterischen Impetus des Lebensfrühlings.
Welche emotionalen und physischen Kräfte in dem aktiven Stadium frei werden, schildert beispielhaft die Erzählung »Das Haus« von Seumas O’Kelly. Es ist die Geschichte des Farmers Martin Cosgrave, der es sich in den Kopf setzt, Rose Demsey aus Amerika heimzuholen, die die Seine werden will, wie sie schreibt, wenn er keine andere anschaut. Für sie will er ein Haus bauen, schöner als alle anderen Häuser im Ort. Um dieses Daches willen, unter das er die ferne Geliebte zu führen gedenkt, verkauft er Stück um Stück, was seine Existenz ausmacht, Geräte, Vieh, Boden, ruiniert Martin Cosgrave sich, verfällt er. In der Vision vom Haus - in dem sich alle seine Sehnsüchte sammeln, Frau, Kind, Zukunft - überantwortet er sich vollends dem Geldverleiher, mutiert er zum Fanatiker. Aber Rose Demsey, die in Amerika durchaus andere Männer angeguckt hat, wie er dann erfahrt, Rose Demsey kommt nicht. Martin Cosgrave hat das Haus umsonst erbaut, hat seinen Besitz, seinen Acker, seine Schafe, einer Chimäre geopfert. Wie lebt es sich weiter nach solcher Tragödie?
Hintersinnig dramatisch geht es übrigens auch da zu, wo ein Happy-End winkt, wie in der Erzählung »Die Kuckucksuhr« von Brinsley MacNamara.
In der Vorstellung einer Frau ist ihr Mann umgebracht worden von jener Sippe, aus der einer ihre Tochter heiraten will. Nach dem Gewalttod des Gatten zieht die Mutter in die Berge, wo eine Kuckucksuhr ihr pathologisches ein und alles wird - bei jedem der halbstündlich wiederkehrenden Rufe denkt sie verzückt an den Verstorbenen. Es ist eine Trauer ohne jede Rücksicht auf Schicksal und Nerven der Tochter, die mit in die bergige Einsamkeit gegangen und gegen die Stimme ihres Herzens dem Ruf des Liebsten um der Mutter willen nicht nachgekommen ist.
Als die Tochter in einem Anfall von Wut und Verzweiflung die Kuckucksuhr zertrümmert, stirbt die Mutter - just in dem Moment, da Michael Looram eintritt und Ellen holen will.
Ein Happy-End? Wenn ja, dann ein trügerisches.
Denn wie rasch welkt das euphorische Eheglück unter der wachsenden Kinderschar und der Dauer lähmender Alltagsnöte. Wo ist sie geblieben, die schöne Unbedenklichkeit mit ihrem Traum vom Glück? Das verdunkelt sich rasch, verwelkt so schnell wie die gespannte Haut, ebnet die Geschlechter ein in das Grau eines Lebens, in dem Jungsein und die Attraktivität der Partner eine bestürzend kurze Etappe waren und in baldiger Verklärung überhaupt die einzig lebenswerte Periode eines sonst deprimierenden Einerleis von Enttäuschungen.
Ich glaube aber, daß es grundfalsch wäre, den melancholischen, ja düsteren Tenor der irischen Literatur mit Morbidität zu verwechseln. Sie legt vielmehr das eigene Maß an die Wirklichkeit, eine übermächtige Größe, viel zu stark und viel zu nahe, um etwas anderes sein zu können als das prägende Segment des irischen Lebensgefiühls. Dabei sind Phantasie und Hang zu Märchenhaftigkeit, sind blühende Romantik und tiefe Poesie immer mit im Spiele. Um das in seiner filigranen Verwobenheit zu erleben, lese man die Bücher von James Stephens, Liam O’Flaherty, Elizabeth Bowen oder anderen typischen Vertretern der angloiri-schen Literatur (kein Fehlschluß - sie ist nicht von Engländern, sie ist von Iren geschrieben worden, auf englisch und nicht auf gälisch - deshalb der Ausdruck »angloirisch«).
Wie die fast 700jährige Maurenherrschaft über Spanien in der Psyche ihrer christlichen Überwinder tiefe, bis in die Gegenwart verfolgbare Spuren hinterlassen hat, so hat die ähnlich lange Epoche der bridschen Herrschaft über Irland die irischen Reflexionen und Auffassungen von Realität weitgehend bestimmt, zumal der Abzug des Union Jack von der Insel im Jahr 1921, gemessen an historischen Dimensionen, gerade erst stattgefunden hat.
Rasch wird deshalb die lange Erfahrung irischer Wirklichkeit aus dem irischen Lebensgefühl nicht verschwinden: sich über Äonen als Objekt fremder Herrschaft und Ausbeutung gefühlt zu haben, erstens, aber gleichzeitig auch, zweitens, als Subjekt der Auflehnung und des Widerstands, um sich dann, drittens und neben beidem, mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Diese Dreiteilung hat die irische Literatur und ihre großen Namen wesentlich mitgeprägt, niemanden von ihnen aber, meiner Meinung nach, mehr, als ihren
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