Mein irisches Tagebuch
eine Frau die Messingbeschläge an den Türen.
Auf den Dächern überall Kaminblöcke, aus denen kurze Schornsteine ragen, aber nirgends da oben Fernsehantennen, keine einzige, auch Satellitenschüsseln nicht. Und doch wird hier empfangen, wie der Blick durch manches Fenster auf flimmernde Bildschirme bestätigt. Auf welche Weise das geschieht, wo die Technik untergebracht ist, bleibt ein Geheimnis, das ich gar nicht lüften will. Hier muß es eine ästhetische Absprache unter Nachbarn gegeben haben.
Dann in die Northumberland Road eingebogen.
Da entfaltet sich die Schönheit Georgianischer Architektur noch prächtiger, kommen Heraldik und Ornamentik hinzu, Portale mit Säulen, Portiken, gelbe Kapitelle, Treppenaufgänge mit weiß und schwarz angestrichenen Gittern, Erker mit großen Fenstern. Eingänge in Pink oder Ochsenblutrot, von der Decke des Vorbaus an starken Ketten schwere, erdgefüllte Schalen, aus denen bunte Blumen hervorsprießen oder sich an langen Astfäden herunterschlängeln.
Zwei Türen von unterschiedlichem, aber gleichermaßen bestechendem Grün - eines erinnert mich an die Laubfrösche meiner Kindheit, das andere, dunklere, an den von meinem Großvater angestrichenen Zaun eines hölzernen Zoogeheges, Geschenk eines vorschulischen Geburtstags.
In diesen Quartieren, wie auch am Merrion und Mountjoy Square, der Lower Fitzwilliam Street, dem Arran und Essex Quay richtete sich im 18. Jahrhundert die dünne Schicht der angloirischen ascendency ein, die protestantischen Herren der Insel. Ihrer hochmütigen Kultur entsprangen die betörenden Merkmale der klassischen angloirischen Architektur mit hervortretenden Pfeilern und Mauerbändern, den Gesimsen und stolzen Ziegelsteinfassaden, dem Prunk der Innendekoration - filigraner Stuck, kostbare Holztäfelung, Marmorkamine.
Sie haben das georgianische Dublin nach ihrem Gusto und Geschmack, ihrem Ehrgeiz, ihrem Machtgestus errichten lassen, sie sind die Bauherren des Custom House und der Four Courts.
Für ihre Prahlsucht, für ihr Hochgefühl, ihre Komfortkutschen sind jene breiten Avenuen angelegt und erweitert worden, die heute noch Dublins Stadtbild prägen - 47 Meter die O’Connell Street, 31 Meter die Upper Merrion Street und 30 Meter die Baggot Street.
In dieser einmaligen Ara sind bewundernswerte Bauwerke und großzügige Anlagen geschaffen worden, war die 1757 gegründete Stadtplanungsbehörde von Dublin, die Wide Street Commission, den Planern und Architekten europäischer Metropolen weit voraus (denen von Paris um fast hundertjahre). Immer aber waren das splendid Dublin und seine Bauästhetik auch das Gegenbild zur Wohnmisere der Volksmassen, zu den kümmerlichen, verkommenen, räudigen Vierteln aus getrocknetem Lehm und windanfalligen Bruchbuden ohne Fenster und Kamine, Behausungen, die sich von den cottages ländlicher Hungerleider nicht unterschieden. Augenzeuge Jonathan Swift: »Die Bauherren haben all die kommoden und einladenden Plätze für den Bau ihrer Häuser gefunden, während fünfzehnhundert alte, was ein Siebtel der Stadt ist, unbewohnt sind und zu Ruinen werden.«
Aber weder die Tatsache, daß der Georgian Style der steingewordene Ausdruck einer streng gegliederten Klassengesellschaft und offener Fremdherrschaft war, noch die zeitgenössischen Slumquartiere jener Ära für das hauptstädtische Volk, können das Verbrechen der modernen Dubliner »Stadtsanierung« rechtfertigen! Wie hier mit dem Erbe einer Architekturepoche höchsten Ranges umgegangen worden ist und weiter umgegangen wird, zählt zu den traurigsten Kapiteln in der Kulturgeschichte Irlands.
Dabei begann die Zerstörung unwiederbringlicher Bausubstanz nicht erst in unserer Zeit. Das rücksichtslose Bombardement der Briten während des Osteraufstands von 1916, die
Schäden während der Unabhängigkeitskämpfe 1921/22 und im anschließenden Bürgerkrieg, der nationalistische Eifer der Teilungsgegner, für die jeder georgianische Bau im Land eine feindliche Festung war, hatten frühe Verheerungen angerichtet. Dennoch muten sie heute nur wie das Vorspiel kommender Abrisse, Einebnungen und Planierungen an. Denn was kommunale Planlosigkeit, politische Korruption, falscher Modernismus und die nackte Geldgier gewissenloser Grundstückspekulanten in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts angerichtet haben, liest sich wie das Weißbuch einer Stadtvernichtung, deren Hauptwaffe die Abrißbirne ist.
Was dann an die Stelle der plattgemachten Portiken und Giebel, der
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