Mein irisches Tagebuch
Hochzeitsgeschenk des 20. Jahrhunderts -diesen Tag rundherum als Tribut für ihre Liebe eingeschreint zu haben in die Ereignisse, aus denen heraus sich >Ulysses< entwickelt.«
Mit der Lektüre darf für mich der Bloomsday zu Ende gehen.
O that Dublin Man!
Seltsam, wie aufhebbar meine Kritik am »Ulysses« ist, aber es gibt sie.
Ich lese auf dieser Reise immer wieder in dem Buch, wie jedesmal zuvor schon hingerissen von seiner Dynamik und seiner Kraft, die in keiner Zeile nachlassen. Hingerissen auch von der Wortgewalt selbst in der deutschen Übersetzung des englischen Originals noch, diesem ganzen verbalen Ozean, aus dem Joyce schöpft - ohne daß ich alles verstehe und begreife, worum es geht und was es bedeuten soll.
Und da nun hakt es bei mir.
Wen meint er mit Joachim Abbas oder mit Crissie, der oder die da gerade gebadet wird von der Mutter - nur welcher? Und was ist mit Houyhnhnm? Herrlich, sich eine basiliskenäugige Monstranz vorzustellen, aber was heißt gleich danach: »Runter mit dir, Kahlkopf!«? Und so gleiten Auge und Verstand denn fortwährend über Sätze, die unverständlich bleiben. Etwa: »Patrice, zu Hause auf Urlaub, lappte warme Milch mit mir in der Bar MacMahon. Sohn der Wildgans, Kevan Egan aus Paris...« Ach ja? So kann das Genie einen verwirren, erlaubt es sich mit seinen Lesern einen Spaß nach dem anderen, grausame, schwergewichtige Späße für den, der’s wissen möchte.
Ich kann also, zugegeben,Joyce im einzelnen nicht folgen und werde mir nicht ausreden lassen, daß es anderen genauso geht. Einige werden dieses Schriftstellergenie erkennen, aber verstehen, ihn bis in die letzten Kapillaren seiner Phantasie und ihrer Ausdruckskraft verstehen - das, bin ich überzeugt, wird kaum einer vermögen.
Ich werde mir ebenfalls nicht weismachen lassen, daß auch nur ein Leser, eine Leserin das Vexierbild des »Ulysses« in seinen Tausenden und aber Tausenden von verschlüsselten Molekülen enträtseln und nach dem Umschlagen der letzten Seite rekonstruieren könnte. Was überhaupt nichts daran ändert, daß das Buch der ungeheure Wurf eines der sprachmächtigsten Hirne in der Geschichte der menschlichen Schreibkunst ist. Doch mißtraue ich den Claqueuren, die ihren Applaus motivieren mit der Tatsache, daß es keine Handlung im konventionellen Sinne gibt, außer, daß ein bestimmter Tag im Leben eines jüdischen Akquisiteurs quer durch Dublin beschrieben wird, der dann auch noch aufgespalten ist in Sekunden und Dezisekunden. Nein, ich glaube und traue ihnen nicht, wenn sie so tun, als sei »Ulysses« in jeder Zeile zu verstehen, man müsse nur den Grips dazu haben. Den, maße ich mir zu behaupten an, habe ich und bin auf fast jeder Seite doch wieder so dämlich wie zuvor. Gleich mir, wird auch jeder andere vor Myriaden von Sätzen stehen wie der berühmte Ochs vorm Berg. Und es macht mir nicht das mindeste aus, das hier einzugestehen, ohne mich selbst im Verdacht zu haben, phantasielos zu sein.
Ich habe den »Ulysses« dennoch mehrere Male von der ersten bis zur letzten Zeile studiert, zuerst auf englisch, dann auf deutsch in der kongenialen Übersetzung von Hans Wollschläger. Aber ich rühme mich nicht, seinen Fäden bis in die letzten Labyrinthe und Hinterhalte, die der Meister vorsätzlich legte, folgen zu können - und konnte und kann trotzdem nicht vom ihm lassen. Es saugt mich förmlich an, wie ein Strudel, aus dem ich heraus will, in dessen Schlund ich aber gleichzeitig auch sanft ertrinken möchte. Pausen müssen allerdings eingelegt werden, keiner hält dieses literarische Achtzehn-Stunden-Marathon des Leopold Bloom ohne Unterbrechung aus. Wobei sich immer wieder die an einen selbst gerichtete und bis zur Stunde dieser Niederschrift, was meinen Fall betrifft, antwortlos gebliebene Frage stellt: Bist du blöd, daß du so vieles nicht verstehst und dennoch bis zur Erschöpfung weiterliest?
Es liegt wohl daran, wie die Ausdauer belohnt wird.
Welch Entzücken, immer wieder auf zuvor nie gehörte, nie gelesene, nie gesprochene Kostbarkeiten zu stoßen, etwa »floh-farbene Handschuhe« oder »glimmleuchtender Talg« oder »ein Tag gescheckter meergetragener Wolken«.
Und dann, im Dschungel der raunenden Ungewißheiten und labyrinthischen Verschlingungen durch Dublins Quartiere, diese Stelle höchster Poesie bei einem Ablauf von unüberbietbarer Trivialität: Wie Gerty dem gierigen, auf den Anblick von Damenunterwäsche versessenen und schuldbewußten Leopold Bloom die
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