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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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flohverseuchten, priesterhörigen, heldenversessenen Stadt.
    Der Schlußsatz lautet: »Good bye at last, good bye«, was wohl wahrheitsgetreu übersetzt werden kann mit »Fahr zur Hölle, Dublin, fahr zur Hölle!«
    Die Anrede im zweiten, etliche Jahre später verfaßten Brief klingt zwar nicht mehr ganz so angriffslustig, nur »Dear dirty Dublin« (was wohl sinngemäß als »Liebes Drecksnest« durchgehen könnte), aber sonst wütet es weiter im Stil biblischer Rache und flammend enttäuschter Jugenderinnerung: »Ja, ich floh, ich floh von Dublin Bay, weg von den eleganten georgianischen Plätzen, von Merrion und Fitzwilliam, wo der Lebensfunke, eben aufgeflackert, auch gleich schon gelöscht wird von der schneidenden Kälte seiner Bürger.« Und dann fährt die verbale Vernichtungsorgie fort: »Am Boden liegt Dublin, rückwärts gewandt ist es, versponnen, ein Mischmasch aus Wikingern, Normannen, Engländern, verblendeten Iren - und grau vor Geiz. Ich hasse es, eine Eingeborene von da zu sein.« Unterschrift: »Good riddance!« Was übersetzt werden kann mit »Gott sei Dank, daß ich Dich los bin.«
    Auch der dritte Brief, in der Halbzeit des freiwilligen Exils geschrieben, strotzt noch von phantasievollen Verwünschungen. Ailish beschimpft darin Irland als europäischen Aussatz, als einen verwilderten, von Rom leider nie eroberten Außenposten, der weder durch die Renaissance noch durch die Reformierung schwarzer Bibeln je zivilisiert worden sei. Sollen sie doch sehen, wo sie bleiben, die Dubliner, diese »kranken, verrückten, mondsüchtigen Leute in ihren verlausten Wohnungen«. Aber gerade die Dauerhaftigkeit des schrillen Tons kündet von etwas Unverbergbarem - Heimweh.
    Das Signum des dritten Briefs ist denn auch, schnörkellos: »Ailish«.
    Der vierte Brief, verfaßt nach über zwanzig Jahren in der Ferne, beginnt mit dem Geständnis: »Gerade habe ich meine zweite Scheidung hinter mich gebracht. Dublin, wie lange bin ich schon fort von Dir. Sag, warum vermisse ich Dich so? Ist es, weil ich nun oft an die träumerischen Nachmittage im St. Stephen’s Green Park denke, wo ich mit anderen Kindern die Enten beobachtet und ihnen Brotkrumen zugeworfen habe? Und wie war’s bei Bewly’s in der Grafton Street!«Jetzt kommen der Exilierten Gedanken an den Phönix Park - »den größten Stadtpark Europas, größer auch als der Central Park von New York«; jetzt beschwört sie das Dublin von James Joyce, von Sean O’Casey, von Brendan Behan; jetzt kommt ihr zurück, wie sie Lorry Doyle gelesen hat, und wie sie als Schulmädchen in himmelblauen Kleidchen mit Nonnen am Royal Canal entlanggegangen ist. »Ich möchte wissen«, fragt sie, »warum mein zerklüftetes Leben mir gerade jetzt die steinigen, schmutzigen Straßen von damals so nahebringt, warum ich mit einem Schmetterlingsnetz unterwegs sein möchte, und warum ich in meinen Träumen immer wieder diese Stadt betrete. Vielleicht, weil sie sich so verändert hat und auf verrückte Weise kosmopolitisch geworden ist, mit Cafés und Restaurants, die so gut sind wie überall in der Welt? Weil Dublin überschwemmt wird von Theatern, von Filmen, von bildenden Künstlern? Nicht, daß ich zurückkehren will. Aber wenn jemand riefe, und wenn es zu hören wäre zwischen den Four Courts und den Hügeln von Howth, dann würde ich kommen. Farewell. Ailish«
    Aha!
    »My dear darling Dublin«, so beginnt der fünfte Brief, und Ailish fährt fort: »In den dreißigjahren, die vergangen sind, seit ich den letzten Blick auf Dich geworfen habe, versprach ich mir ungezählte Male selbst, zu Dir zurückzukehren.« Ach, einkaufen möchte Ailish nun in der Nassau und der Dawson Street, möchte die Baggin Street hinunterwandeln und sich einen Con-nemara-Hut oder eine wollene Mütze kaufen, sich treiben lassen »among my own people« und kosten von seiner Fähigkeit, sich harmlos zu vergnügen.
    »Mein allerliebstes Dublin«, schließt die einseitige Korrespondenz dreier Jahrzehnte, »bald werde ich Dich sehen und Dich fühlen. Meine verwelkten Hände zittern ein wenig bei dem Gedanken, und ich keuche wie ein alter Troupier. Dabei weiß ich, Du wirst mich enttäuschen, aber wie könnte ich meiner heimatlichen Quelle, dem Brunnen meiner Träume fernbleibenPJa, meine Augen werden naß werden, aber bitte, Dublin, lache nicht über Deine sentimentale Tochter, sondern behandle sie wie eine Reisende, die heimkehrt.
    Love. Ailish«
    Hat es je eine verquertere, innigere Liebeserklärung an eine

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