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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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    Während eines Feuerwerks über Ballsbridge, des in der Nähe und in guter Sichtposition lauernden Blooms höchst gewärtig, beugt sie sich rücklings weit über die Brüstung, ein Knie mit den Händen umschlingend, um ihm den Blick freizugeben zu ihren »Kniehöschen aus Nainsook, dem hautsympathischen Gewebe, die viel besser waren als die anderen Schlüpfer«. Solche stumme Willigkeit nutzt Bloom, um heftig, wenn auch möglichst unauffällig, an sich zu arbeiten, während Gerty genau weiß, wofür ihre Pose herhält. Dieses wortlose Zwiegespräch zwischen den verwundbaren Komplizen, diese zitternden Erwartungen - bis, ja bis James Joyce in unvergleichlicher Verquickung den Hosenorgasmus des Leopold Bloom mit dem Höhepunkt des Feuerwerks über Ballsbridge fast interpunktionslos so einschmilzt: »Und dann sprang eine Rakete hoch und schoß peng blind und O! dann barst die Leuchtkugelröhre auseinander und es war wie ein seufzendes O! und alles schrie O! in Verzückung und es ergoß sich daraus ein Strom goldregnender Haarfäden und sie schimmerten auseinander und ah! da warens auf einmal lauter grünliche tauige Sterne die niederfielen mit güldenen, O so lebendig! O so sanft, süß, sanft!«
    Und als Gerty dann davongeht »mit einem rührenden kleinen Blick des kläglichen Protestes, des scheuen Vorwurfs, unter dem er errötete wie ein Mädchen«, und sich zeigt, daß sie hinkt, da sieht der »vollgesaute« Bloom sich bestätigt in jenen schäbigen Gedanken, mit deren Hilfe er versucht, sein Schuldbewußtsein gegenüber dem Subjekt seiner Begierde zu kompensieren.
    Aus der Menge der Bücher, die ich bis in mein achtes Lebensjahrzehnt gelesen habe, gibt es wenig, was mich in wortloser Bewunderung seelisch mehr erschüttert und literarisch tiefer beeindruckt hätte als diese Schilderung grenzenloser menschlicher Selbstisolierung.
     
    Bis hierher und nicht weiter - ich bin kein Joyce-Forscher, ich will ein Buch über Irland schreiben. Ich werde mich hüten, der bereits uferlosen Kommentarliteratur über »JJ« mehr hinzuzufügen als diese Seiten. An ihm vorbeigekommen bin ich jedoch nicht, wenn auch gehemmt durch Bekundungen, denen nichts hinzuzufügen wäre. Allen voran die von Samuel Beckett, der anläßlich der Jahrtausendfeier von Dublins Gründung 1988 schrieb: »Ich begrüße die Gelegenheit, mich einmal mehr tief, tief zu verbeugen vor diesem heroischen Leben eines Wachtraumes.«
    Allerdings, und das will ich nicht verschweigen, die Annexion des Percy M. in »Davy Byrne’s Pub« - »unser James Joyce« - habe ich nicht bestätigt bekommen. Einen Durchschnittsiren, gar einen Dubliner, fragt man besser nicht nach »JJ«. Das äußerste, was dabei herauskommen kann, ist der halb geseufzte, halb kokette Ausruf:
    »O that Dublin man!«
     

Dubliner Skizzen
     
    Ein Wald von Kreuzen, Statuen und Engeln, ein wahrer Aufmarsch von Trauer- und Weihesymbolen in Reih und Glied bis zum Horizont, am Eingang überragt und beherrscht von einem monumentalen Turm - Glesnevin Cemetery in der Finglas Road auf der Nordseite der Liffey, Dublins berühmtester und geschichtsträchtigster Friedhof.
    Der graue Turm ganz vorn ist, wie könnte es anders sein, die Grabstätte von Daniel O’Connell, des »Retters« und »Befreiers«.
    Hier liegen sie alle, Irlands prominente Tote - Robert Emmet, der Anführer des erfolglosen Aufstandes von 1803; Charles Stewart Parnell, Streiter für Home Rule und Landreform; die Verfechter für ein geteiltes und die Streiter für ein ungeteiltes Irland; Roger Casement, der mit Deutschland sympathisierte und 1916 dafür als »Hochverräter« gehenkt wurde; Michael Collins, umstrittener Unterzeichner des Vertrags, der Irland 1921 zum Freistaat machte; sein erster Präsident und Gründer von Sinn Fein, Arthur Griffith; der problematische »Übervater« der neueren Geschichte Irlands, Eamon de Valera; Sean MacBride, Träger des Friedensnobel- und des Lenin-Preises; »Bigjim« Larkin, der Arbeiterführer; Brendan Behan - der Katalog könnte seitenweise fortgeführt werden.
    Aber wer war Edward Molly, der 1896 mit 48 Jahren starb und hier begraben wurde unter den Tausenden und aber Tausenden von Kreuzen, an deren bestürzend tief gestaffelten Reihen entlang ich mich bewege? Wer waren all die O’Donnells, die Bradys, Barns und Quinlans, die Kennedys und die Kellys, die Ryans, Dunnes, Healeys und MacDonalds, die hier liegen? Keine Antwort, auch nicht von der Jesusfigur, die sich da

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