Mein irisches Tagebuch
Trommeln mit gewaltigen Zahnrädern aus Hopfen, Malz und Wasser über Gärung (fermentation ) und Reifung ( maturing ) ein Naß zusammengedichtet wird, das angeblich nicht seinesgleichen auf Erden hat. Und tatsächlich, der süßliche Duft scheint unter den Besuchern so etwas wie Vordurst zu erzeugen, denn anders kann ich mir nicht erklären, warum so viele von ihnen, und keineswegs nur Männer, sich hier ständig mit der Zunge die Lippen anfeuchten. Daß ich auch, oder erst recht, an diesem Ort mühelos jenseits jeder Versuchung bin, behalte ich lieber für mich.
Übrigens ist Guinness längst zu einem Multikonzern geworden, der seine Produktpalette inzwischen erheblich erweitert hat (oder »schamlos banalisiert«, wie manche behaupten), und das nicht nur mit hellem Bier und schottischem Whisky (was viele noch für verzeihlich hielten), sondern auch mit dem Handel und der Herstellung von Motorfahrzeugen und Blumen, von Fleischwaren und Apothekerbedarf, von Büchern, Ferienbooten und Elektronik.
Ohne auch nur von weitem in den Verdacht geraten zu wollen, etwa die ganze Nation für ein Tollhaus unverbesserlicher Trinker zu halten, darf doch wohl angemerkt werden, daß es immer noch Iren geben soll, die diese neuen Sortimente von Guinness nicht kennen, ja nie davon gehört haben. In erklärt persönlicher Verantwortung und beseelt von dem ausdrücklichen Wunsch, dafür nicht bemitleidet zu werden, halten sie sich jedoch an jenen bekennerischen Ausspruch, den James Joyces früher Gefährte im Martello Tower von Sandycove, Oliver St.John Go-garty, zeitlich nicht mehr genau bestimmbar, aber immer noch gültig, so formuliert hat: »Trink, bis du die Enten in deinem Seidel schwimmen siehst. Trink deine Leber ins Martyrium.«
Dennoch ist die Gattung, wie jeder Gang durch Irland mit offenen Augen lehren kann, immer noch am Leben.
Zum Abschied - St. Patrick’s Cathedral, Hauptkirche der protestantischen Church of Ireland in der südirischen Republik. Die Hauptpforte ist streng verschlossen, der Eintritt nur von der Seite möglich, dann bin ich, für ein Pfund zwanzig, überwölbt von der höchsten Kirchenkuppel auf der Insel.
Mein erster Gedanke beim Anblick des Gestühls: nur fur kleine Hintern. Der zweite: wo bin ich hier - auf einem Friedhof oder in einer Kaserne? Ich fühle mich umzingelt von Soldatengräbern und -denkmälern, ob rechts und links der Taufkapelle, ob an der Nordwand des Chors oder an der Südwand der Marienkapelle, es wimmelt von Bronzeplatten, Plaketten, Figuren.
Als St. Patrick’s Cathedral errichtet wurde, zwischen 1220 und 1254, außerhalb der Stadtmauern und auf sumpfigem Gelände, da lagen die Reformation, Luther, Zwingli und Calvin noch in weiter Zukunft. Aber jetzt, und seit langem schon, sieht sie so aus, wie ich es jedenfalls in katholischen Kirchen noch nie gesehen habe - bellizistisch, um ein Modewort zu gebrauchen, wirklich kriegerisch aufprotzend.
Ringsum Banner, Schwerter, Helme der Whitesides und der Fitzgibbons, nichts als gefallene Kämpfer und Sieger, etwa in den Schlachten von Burma 1852/53. Eine güldene Gedenktafel für Captain Arthur J. Millner von den Royal Irish 18th, den es 31jährig am 17. September 1879 im Punjab getroffen hat. Daneben ruht General Edwards (1812-1882) - China, Indien, Burma, Krim! Offenbar hat es den Knight of the Legion of Honour immer dorthin gezogen, wo gerade Krieg war - und ist dann doch in seinem Bett gestorben.
Da wirkt das Grab des Jonathan Swift und seiner Geliebten Ester Johnson (Stella) mit ihren Bronzetafeln neben dem Eingang recht verloren, woran auch seine Büste im Hauptschiff nichts ändern kann. 32 Jahre, von 1713 bis 1745, war Swift Dekan von St. Patrick’s Cathedral, Zeit genug, um sich in dem protestantisch beherrschten Irland mit Grimm, Abscheu, Zorn und Haß über die damaligen Zustände so vollzustopfen, daß der von ihm selbst verfaßte Grabspruch lautete: »Er ruht, wo ihm wilde Empörung nicht länger das Herz zerreißen kann.«
Von seinem Abtritt bis zu seinem Tod 1748 lebte Swift immerhin noch drei Jahre, nach zeitgenössischen Augen- und Ohrenzeugen des großen Autors eine Spanne, die ihn in Kenntnis der Slumhölle um die Kathedrale herum vor Verzweiflung über Ungerechtigkeit und Massenelend schier an den Rand des Wahnsinns gebracht haben soll.
Nein, hier in St. Patrick’s Cathedral regiert nicht der Geist des großen Humanisten Swift. Hier marschieren noch in unserer Gegenwart pausenlos, wenn auch unhörbar,
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